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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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ihrer Mutter: Sie besaß das charakteristische fuchsrote Haar der Torquills und honigfarbene Augen. Mit der porzellanweißen Haut und den anmutigen Zügen dazu entstand leicht die Illusion, sie sei die vollkommene, unhinterfragbare Reinheit in Person. Zumindest bis sie den Mund aufmachte.
    »Toby?«, fragte May verunsichert. »Das ist doch nicht ihr Ernst, oder?«
    Gern hätte ich einfach Nein gesagt, aber ich war nicht sicher, ob ich meinen Holing belügen und damit durchkommen konnte. Also schüttelte ich unverbindlich den Kopf, und Rayseline lachte los, aufs Äußerste entzückt.
    »Nun seht euch das an! Sie kann es nicht mal zugeben!« Sie trat einen Schritt näher und senkte das Kinn, sodass sie mich unter zusammengezogenen Brauen hervor anstarrte. Sie sah aus wie ein gefährliches Raubtier. »Er hat sie fest in seinen Klauen. Sie ist völlig in seiner Hand. Sie muss zurück.«
    »Toby … «
    »Er hat immer noch mein Messer«, sagte ich, so sachlich ich konnte. »Das hab ich von Dare. Er darf es nicht behalten.«
    »Es gibt genug Messer.« May packte meinen Arm und zog mich einen Schritt nach links. Spike rasselte protestierend, aber er ließ meine Schulter nicht los. »Es gibt ganze Läden, die nichts als Messer verkaufen. Wir besorgen dir ein neues.«
    »Oh, hier geht es ja gar nicht um Messer, stimmt’s, October?« Raysel lächelte immer noch. »Mein Gemahl hat sich deinen Namen flüsternd in den Schlaf geweint. Ich hoffe, du stirbst unter Schmerzensschreien. Oder noch besser, ich hoffe, du verbringst den Rest deines Lebens unter Schmerzensschreien.«
    »Toby, sei nicht dumm. Ich hab schon gegen alle Regeln verstoßen, um dich zu retten. Mehr geht nicht.«
    »Nein so was, kleiner Holing, ist das wahr?« Raysel wandte sich May zu. »Mein Großvater lässt sich Zeit, wenn er etwas kaputt macht. Vielleicht wolltest du ja bloß nicht so lange warten?«
    May rang scharf nach Luft. Im Plauderton bemerkte ich: »Raysel, wenn Ihr nicht umgehend verschwindet, bekommt Ihr meine Faust ins Gesicht.«
    Ein kurzer Wutschub verzerrte Raysels Züge, bevor sie sich wieder zu ihrem üblichen Raubtierlächeln glätteten. »Ich sollte dich auf der Stelle töten, aber das tue ich nicht«, sagte sie triumphierend. »Was du vor dir hast, wird nämlich wesentlich mehr wehtun.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und rauschte aus dem Zimmer.
    Mit einem leichten Zittern in der Stimme fragte May: »Sie spinnt doch, oder? Du gehst doch nicht zurück?«
    »Ich muss. Er ist in meinem Kopf, May.« Ich sah sie an. Ihr Gesicht war nach wie vor ein Zwilling von meinem, aber es war kein Spiegel mehr. Sie hatte mehrere Wochen Zeit gehabt, es zu ihrem eigenen zu machen. Sie sah besorgt aus, ängstlich, und ganz wie sie selbst. Das war beruhigend. Wenigstens hatte sie die Chance bekommen, zu leben. »Ich kann ihn immerzu fühlen. Manchmal kann ich ihn sogar fast hören. Ich glaube nicht, dass ich von ihm loskomme, solange ich ihm nicht entgegengetreten bin.«
    »Das ist doch Quatsch. Es ist dämlich und selbstmörderisch, und ich lasse es nicht zu.«
    »Ich glaube nicht, dass du da was mitzureden hast, Süße«, sagte ich und nahm sanft ihre Hand von meinem Arm. Sie hinderte mich nicht daran. Sie stand nur da und sah düster zu, wie ich Spike von meiner Schulter löste und auf den Boden setzte. Dann drehte ich mich um und ging wortlos zur Tür hinaus. Sie folgte mir nicht.
    Spike schon. Den halben Korridor entlang hörte ich das Klicken seiner Krallen auf dem Marmorboden immer dicht hinter mir. Schließlich drehte ich mich um und sah ihn an. Prompt setzte er sich hin und schaute mit funkelnden Augen zu mir hoch.
    »Du kommst nicht mit«, sagte ich.
    Er stand auf, kam ein paar Schritte näher und setzte sich direkt neben meine Füße.
    »Nein, du kommst nicht mit. Es ist zu gefährlich.«
    Der Blick, den er mir zuwarf, war regelrecht entrüstet. Wenn du dahin gehst , sagte dieser Blick, dann kann ich auch dahin gehen .
    Ich seufzte. »Na schön, Spike, ganz wie du willst.« Ich ging weiter, stetig begleitet vom halblauten Klick-klick-klick der Koboldkrallen, und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie froh mich das machte. Ich traute Spike zu, dass er auf sich aufpasste, und in Wahrheit wollte ich nicht gern allein gehen. Es gibt viele Arten zu sterben, und »allein« schien mir immer mit die schlimmste. Fast alles war besser als das.
    Wir verließen den Mugel und betraten die Welt der Sterblichen, ohne noch jemanden zu treffen. Die Tür in

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