October Daye: Nachtmahr (German Edition)
einmal vor einem eleganten Picknick, ausgebreitet unter einer Trauerweide. Alle Speisen stammten aus dem Garten: Salate, Platten mit frischem Gemüse und geschnittenen Früchten, Gläser voll Marmelade und Honig. Ernteessen.
Sylvester saß auf einer Decke und schnitt eben einen Brombeerkuchen an. Als er aufsah, lächelte er. »Da bist du ja! Etienne sagte, dass du kommst und Quentin zurückbringst. Komm her, setz dich. Du siehst aus, als könntest du ein Frühstück gebrauchen.« Sein Lächeln verließ ihn und wich Verwirrung. »Luna? Was ist los?«
»Alles. Nichts.« Luna lachte – mit dünner, brüchiger Stimme, wie Fingernägel, die auf einer Tafel abbrechen – und ließ sich fast würdelos auf die Decke neben ihm fallen. Ihre Schwänze peitschten verrückt herum, verwickelten sich zu komplizierten Knoten, die genauso schnell wieder aufglitten. Spike sprang ihr aus den Armen, als sie sich hinwarf, rannte zu mir zurück und presste sich an meine Knöchel. Luna schien es gar nicht zu bemerken. »Die Hügel brennen, Sylvester. Die Kerzen gehen aus.«
Langsam kamen seine Hände zur Ruhe, während er seine Frau anstarrte, der Kuchen war anscheinend vergessen. Schließlich sah er mich an und sagte mit beinahe tonloser Stimme: »Warum setzt du dich nicht hin, October, und erzählst uns, was passiert ist?«
»Ich bin nicht ganz sicher , was genau passiert ist, Euer Gnaden, aber ich kann es versuchen«, sagte ich, ging ein Stück näher heran und ließ mich vorsichtig nieder. Ich traute meinem Kleid nicht recht. »Heute Morgen – «
»Iss.«
Ich sah Luna verständnislos an. Sylvester tat es mir nach. Sie schnappte sich das Messer, das er losgelassen hatte, und hieb damit den Kuchen in zerklüftete ungleiche Stücke. Ihre Hände zitterten, als sie das erste Stück auf einen Teller hob und ihn in meine Richtung stieß.
»Iss«, wiederholte sie. »Du musst etwas essen.« Sie rang sich ein wackliges Lächeln ab. »Du bist zu dünn.«
»Nein, bin ich nicht«, sagte ich reflexartig, während ich nach dem Teller griff. Brombeersaft lief aus den Seiten des Kuchenstücks und bildete einen klebrigen purpurnen Schlamm. »Luna, geht es Euch gut?«
»Oh, nein, Liebes, nein, es geht mir ganz und gar nicht gut.« Ihr Lächeln war glückselig und fast benommen. Es war das Lächeln einer Wahnsinnigen. Meine Mutter hatte so gelächelt, in den Jahren kurz bevor ich verschwand. »Ich bin so meilenweit entfernt von ›gut gehen‹, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wo das liegt. Iss deinen Kuchen.«
Unsicher sah ich Sylvester an. Er nickte. Ich fasste das als eine Art Befehl auf, nahm eine Gabel und schubste den Kuchen auf dem Teller herum, bevor ich einen vorsichtigen Bissen nahm. Es war ein hervorragender Kuchen. Die Kruste war leicht und flockig, auch die Brombeeren waren perfekt. Sie schafften es, gleichzeitig süß und sauer zu sein. Nur schade, dass ich zu angespannt war, um ihn zu genießen.
Sylvester räusperte sich, nachdem ich zwei Bissen genommen hatte, und sagte: »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du Quentin zurückgebracht hast. Seine Eltern wären sicher außer sich, wenn ich seiner verlustig gegangen wäre.«
»Darauf wette ich«, sagte ich und nahm dies als Zeichen, meinen Teller wegstellen zu dürfen. »Für wie lange ist er eigentlich noch Euer Zögling?«
»Oh, wir sind für seine gesamte Ausbildung verantwortlich. Wir werden ihn schon bald einem Ritter zuweisen, damit er seine Lehrzeit als Knappe beginnen kann.« Sylvesters Lächeln war geradezu nostalgisch. »Ich wurde damals Knappe bei Sir Malcolm in Grey Fields. So hat er meine Schwester kennengelernt. Ich bin nicht sicher, ob unsere Eltern mir das je vergeben haben.« Er warf Luna einen schnellen Blick zu. »Das tun Eltern so selten.«
»Ich habe sie nie gebeten, mir zu vergeben«, sagte Luna. »Ich habe sie nur gebeten, mich in Ruhe zu lassen.«
»Ähm, Leute?« Ich hob eine Hand. »Könnten wir darauf zurückkommen, weshalb Quentin heute Mittag vor meiner Tür saß? Ich kann nicht so lange bleiben. Ich muss mich dringend um einiges kümmern.«
»Du hast überhaupt keine Ahnung, um was du dich da zu ›kümmern‹ versuchst«, sagte Luna im selben scharfen Ton. »Du hast ja nicht die entfernteste Ahnung.«
Spike rasselte mit den Dornen und zirpte sie an.
Luna richtete ihre Aufmerksamkeit ganz auf den Rosenkobold. »Ich glaube nicht, dass das von Bedeutung ist.«
Spike zirpte wieder.
Ich sah die beiden verwundert an. »Luna? Könnt Ihr etwa
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