October Daye: Nachtmahr (German Edition)
bis Halloween bei sich behalten, sie verändern, bis sie seiner Laune angepasst sind, und dann reiten sie. Das ist seine Art, unserer Mutter zu gedenken. Ihre Ritte fanden immer in der Samhain-Nacht statt.«
Ich nickte und fühlte ein erstes Aufflackern von Hoffnung. »Also gibt es eine Chance.«
»Die Regeln gestatten dir einen Versuch, genau hier, genau jetzt. Ich weiß nicht, ob du Erfolg haben wirst.« Sie riss eine Schublade auf und grub darin herum. »Die Regeln verlangen von mir, dass ich dich warne, nur damit du’s weißt.«
»Mich warnen?«
»Du gehst allein. Du kannst jede Hilfe annehmen, die sich dir bietet, aber du kannst nicht darum bitten. Du kämpfst mit dem, was du hast, und dem, was dir gegeben wird, doch du stiehlst weder, noch kaufst du dir irgendeine Waffe. Du kannst jeden Pfad einmal nehmen und nur ein Mal, und manchen Pfad nicht einmal ein Mal. Und du gehst jetzt . Bist du bereit?«
»Hab ich eine Wahl?«
»Nicht wirklich. Weißt du, wo du hinmusst?«
»In Blind Michaels Lande.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn das alles ist, was du weißt, bist du erledigt, ehe du angefangen hast. Besinn dich, denk nach, und frag noch mal.« Sie richtete sich auf, ein kleines Schälmesser in der Hand. Der Griff war aus Perlmutt und Paua, die Klinge eine Silbersichel, nicht breiter als mein Finger. Es sah aus, als könnte es die Luft zerschneiden.
Ich hielt meinen Blick auf ihr Gesicht gerichtet und versuchte das Messer zu ignorieren. Es gelang mir nicht. »Nur dieses eine Mal wünschte ich, du würdest dich ausdrücken wie ein normaler Mensch.«
»Wo bliebe da der Spaß? Gib deine Hand.« Blinzelnd streckte ich automatisch meine linke Hand aus. Sie packte sie und zog die Klinge quer über meine Handfläche. Sie schnitt tief, aber es tat nicht weh. Noch nicht.
»Hey!«, schrie ich und riss meine Hand zurück.
Sie sah mich ausdruckslos an. »Gib mir die Hand wieder.«
»Nein!«
»Wir können das auf die leichte Art machen, oder wir können es ganz lassen. Du kannst auf den Hügeln umherwandern und nach Blind Michael suchen, bis er dich erwischt … oder du gibst mir deine Hand wieder, und ich zeige dir einen Pfad, dem du folgen kannst.« Sie zuckte die Achseln. »Es ist deine Entscheidung. Du stehst so oder so in meiner Schuld.«
Großartig. Regen? Komm zur Traufe. Ich streckte meine Hand aus und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was ich da tat. Spike sprang von meiner Schulter auf die Arbeitsplatte, duckte sich und rasselte mit seinen Dornen.
Die Luidaeg sah amüsiert auf ihn runter. »Welch grimmiger Beschützer.«
»Er tut sein Bestes«, sagte ich und beobachtete mit kranker Faszination, wie das Blut über meine Hand lief.
»Du wärst überrascht, wie tief Rosendornen schneiden können. Sie sind hübsch, aber nicht harmlos.« Sie schlang ihre Finger um mein Handgelenk und drehte meine Handfläche nach unten. Blut tropfte auf das dreckige Linoleum. Die Luidaeg ließ eine Handvoll angelaufener Silbermünzen in ein leeres Glas Babynahrung fallen und hielt es dann unter meine Hand. »Halt das mal. Wir brauchen nur ein bisschen Blut.«
»Wozu brauchen wir überhaupt welches?« Ich gab mir alle Mühe, damit mir nicht schlecht wurde. Den Anblick meines eigenen Blutes habe ich noch nie gut vertragen. Wenn ich »in Ausübung meiner Pflicht« verletzt werde, kann ich das meistens verdrängen, bis die Gefahr gebannt ist. Doch hier in der Küche der Luidaeg, ohne greifbare Bedrohungen – abgesehen von der Luidaeg selbst –, musste ich hart gegen das Bedürfnis ankämpfen, den Kopf zwischen die Knie zu stecken und in Ohnmacht zu fallen.
»Weil es keinen Pfad ohne Tribut gibt, Dummkopf«, sagte sie und wühlte in dem Durcheinander auf ihrem Tresen. »Alles hat seinen Preis. Das solltest du inzwischen wissen.« Sie kam wieder zu mir, ein Stück schmierige, vergilbte Schnur in der Hand. »Du wirst eine Landkarte brauchen. Das Blut bezahlt den Preis dafür und beweist, dass du es ernst meinst.«
»Eine Landkarte wovon ?«
»Durch die Zeit und um die nächste Ecke. Du gehst meinen Bruder besuchen, und er ist sehr wählerisch, wen er hereinlässt. Gib mir das.« Sie nahm das Glas aus meiner Hand. »Silber, das von weit her kommt, das Eisen in deinem Blut … das wird es besorgen. Geh und halt deine Hand unter den Wasserhahn, aber verbinde sie nicht. Die Wunde wird nicht mit dir gehen.«
»Wovon sprichst du?« Ich drehte den Hahn auf und betrachtete zweifelnd das trübe Wasser, dann
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