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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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viel muss ich davon … «
    »Alles. Runter damit.«
    Da gab es nichts zu diskutieren. Ich setzte die Flasche an und schluckte ihren Inhalt, so schnell ich konnte. Es war wie Schlamm trinken, gemischt mit Batteriesäure und Galle. Würgend schlang ich die Arme um den Bauch und knickte vornüber.
    Spike sprang vom Tresen, bedrohte die Luidaeg mit gesträubten Dornen und heulte, aber ich war zu beschäftigt damit, das Kreisen der Welt anzuhalten, um mich darum zu kümmern. Ich durfte der Luidaeg nicht auf den Fußboden kotzen. Nicht auszudenken, was sie daraus machen würde.
    »Wenn du es auskotzt«, bemerkte sie, »wirstdu es noch mal trinken.«
    Noch ein guter Grund, mich lieber nicht zu erbrechen. Immer noch würgend zwang ich mich langsam wieder in aufrechte Position. Die Luidaeg nickte, offensichtlich befriedigt. Spike heulte weiter und ließ den dornigen Schwanz peitschen.
    »Mir geht’s genauso«, nuschelte ich ihm zu. Meine Kehle fühlte sich verkohlt an, aber der Schmerz in meiner Hand war verschwunden. Ich sah hin. Die Wunde in meiner Handfläche schloss sich. Irgendwie fühlte sich das ganz normal an.
    »Jetzt«, sagte die Luidaeg, »komm her.«
    Eines Tages werde ich lernen, nicht hinzuhören, wenn sie das sagt.
    Ich trat vor. Sie griff nach mir, packte mein Kinn und hob es an, bis wir Auge in Auge waren. Ihre Iris und Pupillen schwanden, und ihre Augen füllten sich von oben bis unten mit Weiß. Ich erstarrte, unfähig, mich zu bewegen oder wegzusehen. Sie ist älter als ich, viel, viel älter, und mich zu fangen stellt für sie keinerlei Herausforderung dar.
    Sie lächelte wieder. Ihre Erscheinung wurde dadurch nicht lieblicher – Übung macht nicht immer perfekt. »Wie viele Meilen nach Babylon?«
    Ich schluckte. »Fünf Dutzend und noch zehn.« Die Luft wurde dick und kalt. Ich verlor mich im Weiß ihrer Augen, und ich wusste nicht, ob ich jemals wiedergefunden würde.
    »Kommst du dorthin bei Kerzenlicht?« Sie drückte mir die Kerze in die Hand. Ich umklammerte sie und spürte, wie das Blut, aus dem sie gemacht war, für mich sang, obwohl ich kaum noch meine eigene Haut fühlte. Das war alles in allem gar nicht gut, aber je mehr ich das Singen spürte, desto weniger kümmerte mich das alles. »Kommst du dorthin bei Kerzenlicht, October Day, Tochter der Amandine?«
    »Ja, auch zurück kann ich gehn.«
    »Ist dein Fuß klein und ohne Gewicht, kommst du hin und zurück mit der Kerze Licht.« Sie beugte sich ganz weit herunter und gab mir einen Kuss auf jede Wange. Ich blinzelte sie verwirrt an. Sie war zu groß, oder vielleicht war ich zu klein, und die Welt ringsumher brach weg. »Du hast einen Tag. Verstehst du?«
    »Ja«, sagte ich. Meine Stimme klang dünn und weit weg, und ein blasser Nebel verschleierte meine Sicht, bis nur noch das Weiß aus der Luidaegs Augen übrig war. Ich konnte Spike immer noch heulen hören, aber ich sah ihn nicht mehr.
    »Ich hoffe es.« Sie tippte mit dem Finger den Docht der Kerze an, und er entzündete sich mit dunkelblauer Flamme. Das Licht sog alle Farbe aus der Welt und ließ mich allein in einem Meer aus grauem Nebel. Die Luidaeg und alles andere war verschwunden, und der Himmel über mir – Himmel? Wann war ich denn rausgegangen? – war endlos und erbarmungslos schwarz.
    »Luidaeg?«, rief ich.
    Aus einiger Entfernung hörte ich den Singsang ihrer Stimme, dünn und geisterhaft wie ein Gespenst oder eine Erinnerung. »Wie viele Meilen nach Babylon? Fünf Dutzend und noch zehn. Komm ich dorthin bei Kerzenlicht? Ja, auch zurück kannst du gehn. Ist dein Fuß klein und ohne Gewicht, kommst du hin und zurück mit der Kerze Licht.« Sie machte eine Pause, und ihre Stimme änderte den Tonfall. »Kinderspiele sind viel mächtiger, als du sie in Erinnerung hast, wenn du erst erwachsen bist und das alles hinter dir liegt. Sie sind festgelegt und immer fair und niemals großzügig. Denk daran.« Dann verstummte sie und ließ mich allein in dem endlos scheinenden grauen Nebel.
    »Luidaeg?«, brüllte ich. Ich wollte nicht hier sein, und vor allem wollte ich nicht allein hier sein.
    Die Kerzenflamme hüpfte und flackerte synchron mit meiner Panik, ein winziges Licht, das gegen die Dunkelheit schlug. Schwindel erfasste mich wie eine Welle, und ich stolperte und verlor die Kerze. Sie fiel zu Boden und rollte ein Stück, die blaue Flamme verbrannte den grauen Nebel, wo sie ihn berührte. Wenigstens sang das Blut, das sie enthielt, immer noch für mich und bewahrte mich davor,

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