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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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reinkomme, aber wenn du mir vertraust, kann ich – «
    Er starrte mich an. »Du bist wahnsinnig! Du gehörst zu ihm!« Sein Tonfall machte unmissverständlich klar, dass er nicht Tybalt meinte.
    »Nein, im Gegenteil. Ich hab nur – «
    »Sie haben Helen geschnappt, und du hast nichts dagegen getan!« Seine Stimme wurde lauter. Ich sah mich um und fragte mich, wie weit der Schall über die Ebene trug. »Du gehörst zu ihm! Du willst mich zurückholen. Aber das wird nichts! Ich will nicht zurück!« Er wandte sich in Richtung Wald und rannte los.
    »Raj, warte!« Ich setzte ihm nach, und vielleicht hätte ich ihn sogar eingeholt – Panik motiviert ungeheuer – , aber er hatte einen Vorteil. Die Luft um ihn schimmerte, und plötzlich jagte ich eine halbwüchsige Abessinierkatze. Vier Füße sind trittsicherer als zwei und über kurze Strecken schneller. Sein Vorsprung wuchs rasch.
    Und weit hinter uns schmetterten erneut Jagdhörner.
    Raj erreichte den Waldrand und verschwand mit einem Satz zwischen den Bäumen. Ich folgte ihm unverzüglich. Lieber der Wald als die Jagd. Dieser Tag hatte ganz schlecht angefangen und war immer schlimmer geworden, und nun war ich hier, neun Jahre alt und allein in einem finsteren Wald. Auf der einen Seite die Jäger, auf der anderen das Unbekannte, mit nichts als einer Kerze, um mir den Weg zu leuchten.
    Manchmal bringt es wirklich nichts ein, überhaupt aus dem Bett aufzustehen.

Kapitel 10
    Z weige zupften an meinen Haaren, als sich die Bäume um mich schlossen und mir die Sicht auf die Ebene nahmen. Ich duckte mich unter ihnen weg und pirschte mich tiefer in den Wald hinein. Das war vielleicht nicht das Allerklügste – das ist der Gang in den finsteren, unheildräuenden Wald selten – , aber wenn ich das Allerklügste tun wollte, hätte ich gar nicht erst in Blind Michaels Lande kommen dürfen. Immerhin verhalf mir mein Fae-Blut zu einer ziemlich guten Nachtsicht. Zusammen mit dem Schein meiner Kerze genügte das, um nicht hinzufallen. Sie brannte mit stetiger blauer Flamme, was ich als gutes Zeichen wertete: Schließlich war sie orange geworden, als die Jagd kam, also wenn ich Glück hatte, funktionierte sie als eine Art Frühwarnsystem. Solche Hilfe konnte ich wahrhaftig brauchen.
    Ich suchte mir meinen Weg durch das Unterholz und versuchte die Felsbrocken und Kriechwurzeln zu umgehen, die den ohnehin unebenen Waldboden in ein Labyrinth aus Hindernissen verwandelten. Ständig verhakten sich Äste in meinen Haaren und zwangen mich, ruckartig stehen zu bleiben. Meine Geduld war ziemlich am Ende. Ich war zerschlagen, zerkratzt und verängstigt, und obendrein hatte ich unbeschreiblich schlechte Laune. Zudem war ich meinem Ziel kein Stück näher. Die Jagd war aus der Richtung der Berge gekommen und denselben Weg zurückgeritten. Ich wusste nicht, wie die Grenzen von Blind Michaels Landen verliefen, aber die Geografie hier wirkte eigentlich halbwegs gradlinig. Ich würde die Kinder kaum finden, wenn ich mich von ihnen entfernte.
    Der Wald war keineswegs still. Eulen schrien in der Ferne, und kleine Wesen raschelten in den Blättern und huschten durchs Unterholz. Dieses leise Konzert tat mir regelrecht gut: Es schien unwahrscheinlich, dass an einem Ort mit solchem Wildwechsel viele Monster unterwegs waren. Umgekehrt konnte es natürlich auch bedeuten, dass nichts in diesem Wald harmlos war, aber den Gedanken versuchte ich lieber zu verdrängen. Ich brauchte jetzt entschieden keine Vampirhäschen. Je weiter ich ging, desto dunkler wurde es, bis der Schein meiner Kerze fast in den Schatten verschwand. Die Geräusche um mich herum schwanden ebenfalls, wurden leiser und leiser, bis es ganz still war. Mir gefiel das gar nicht. Wenn jetzt noch King Kong aus den Büschen brach, würde ich wirklich sauer werden. Ich schluckte hart und ging weiter.
    Es tauchten keine Riesenaffen auf. Stattdessen öffneten sich die Bäume zu einer Lichtung. Ich blieb stehen und beugte mich vor, um wieder zu Atem zu kommen. Ich hatte ganz vergessen, wie viel länger alle Wege für ein Kind waren. Meine Beine taten weh, meine Knie taten weh, und ich wollte nichts lieber, als mich irgendwo zusammenzurollen und alles wegzuschlafen. Das allerdings würde ganz sicher nicht stattfinden.
    Etwas knackte im Unterholz. Ich richtete mich auf und schaute unwillkürlich auf meine Kerze. Die Flamme zeigte nach wie vor ihr gelassenes Blau. Das mochte heißen, dass ich nicht in Gefahr war, aber es konnte ebenso gut bedeuten,

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