Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
Vom Netzwerk:
Vereinfachung: »Er ist ein Freund von mir.«
    Raj runzelte die Stirn, die grünen Augen wurden wieder schmal. »Das ist nicht möglich.«
    Jetzt runzelte ich ebenfalls die Stirn. Ich war zu müde, um mich mit seiner königlichen Pubertät herumzustreiten. »Dann sind wir eben nicht Freunde, sondern Feinde, die sich noch nicht umgebracht haben. Spielt das eine Rolle? Er hat mich hergeschickt, um euch zu retten.«
    »Du? Uns retten?« Er lachte bitter auf. Kein Kind sollte so lachen können. »Komm wieder, wenn du älter bist.«
    »Was?« Die vertraute Verwirrung brach wieder über mich herein und versuchte mich am Begreifen der Zusammenhänge zu hindern. Dummerweise war Unwissenheit ein Luxus geworden, den ich mir nun nicht länger leisten konnte. Ich unterdrückte den Impuls, Rajs Aussage einfach keine Beachtung zu schenken, und schaute an mir herunter. Doch ich ahnte bereits, was ich sehen würde.
    Ausnahmsweise hätte ich mich lieber überraschen lassen.
    Die meisten Leute kennen die Proportionen ihres Körpers gut. Sie machen sich vielleicht ein paar Illusionen – wie dünn sie sind oder wie dick, wie gut ihnen ihr schwarzes Samtkleid steht – , aber die grundsätzliche Ansicht ist fest eingeprägt. Die Länge einer Hand, die Beschaffenheit der Haut, die Neigung der Brust, das alles ist beständig. Und wenn sich daran etwas ändert, geschieht das gewöhnlich so langsam, dass das verinnerlichte Selbstbild sich unmerklich mitwandeln kann. Ich lebe jetzt schon lange Zeit mit mir, und die Jahre, die ich als Fisch verbrachte, haben mir noch bewusster gemacht, wie ich eigentlich aussehe. Ich hatte meine Gestalt einmal verloren, das machte mich umso aufmerksamer, seit ich sie wiederhatte.
    Der Körper, in dem ich steckte, war nicht meiner – oder genauer, es war nicht mehr meiner, und das schon seit ziemlich langer Zeit. Ich war gestutzt, verkürzt, die Kurven eingeebnet. Ich schaute auf die Hand, die die Kerze hielt, und sah sie zum ersten Mal wirklich an. Die Finger waren zu kurz, die Nägel zu breit. Nicht die Hand einer Erwachsenen. Ich betastete die Konturen meines Gesichts: alles noch gerundet, mit Babyspeck. Ich zog das Band aus meinem Haar. Die Strähnen, die prompt vor meine Augen fielen, waren aschblond, die Farbe, die mein Haar gehabt hatte, bis ich etwa zwölf war. Wenn ich zusammenzählte, was ich fühlte und sah, musste ich mein Alter auf irgendwo zwischen acht und zehn schätzen, eher Richtung zehn. Genaueres war schwer zu sagen. Wechselbälger sind eigenartig, und ich war sehr lange Kind.
    Rajs Augen blieben schmal, während er meine Selbstuntersuchung beobachtete. Er fürchtete sich, verbarg das aber gut. Ich hoffte nur, meine Angst war ebenso gut bemäntelt. Ich zweifelte daran.
    »Bei Oberons Eiern «, murmelte ich und erschrak beim Klang meiner dünnen, viel zu hohen Stimme. Wie hatte mir das entgehen können? Ganz einfach, die Luidaeg hatte dafür gesorgt. »Luidaeg, was hast du getan ?« Auch das lag auf der Hand. Ich hatte nur nicht darüber nachdenken wollen.
    Blind Michael war ein Kinderschreck. Die Luidaeg hatte gesagt, es gäbe drei Pfade zu ihm. Einer würde mich töten, und einer sei mir verwehrt … der dritte Pfad aber musste Kindern aller Arten und Rassen offenstehen, sonst kam er nicht an sie heran. Sie hatte getan, worum ich sie bat. Sie hatte einen Weg gefunden, mich in Blind Michaels Lande zu schleusen. Nur dass ich nicht Bescheid gewusst hatte.
    Insgeheim beschloss ich, ihr die Hölle heißzumachen, wenn ich wieder zu Hause war und sie mir meinen richtigen Körper zurückgegeben hatte. Falls ich es jemals nach Hause schaffte.
    Raj sah sich entsetzt um, als könne jederzeit die Luidaeg auftauchen und alles noch schlimmer machen, als es schon war. »Warum rufst du sie?« Alle Königlichkeit war dahin, übrig blieb nur ein verängstigter Junge, der nicht nach Hause fand.
    »Weil sie das mit mir angestellt hat. Ich schätze, sie wollte nur helfen. ›Du kommst hin und zurück mit der Kerze Licht‹.« Ich redete weiter, zu wütend, um aufzuhören. »Warum können Leute nie sagen, was sie wirklich meinen ? ›Du kommst hin, aber wenn du die Kerze verlierst, bist du im Arsch, und übrigens, du wirst neun sein. Ich hoffe, du kommst damit klar.‹«
    »Was?«
    »Warte doch mal … entschuldige.« Ich seufzte und riss mich zusammen. »Also, noch mal von vorn. Tybalt hat mich wirklich geschickt. Ich bin hier, um euch zu retten. Die Luidaeg hat mich in ein Kind verwandelt, damit ich hier

Weitere Kostenlose Bücher