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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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und wieder. Sie dehnten die Pause hinter »Ross« und erzeugten so einen Rhythmus im Singsang, der sich schmerzhaft mit dem Hämmern in meinem Kopf biss. Mir wurde ungemütlich bewusst, dass mindestens die Hälfte von ihnen größer war als ich, und dass der Rest entweder mit größeren Freunden oder mit einer Art Bewaffnung ausgestattet war. Ich musste unwillkürlich an Jabberwocky denken: »Sein Maul ist beiß, sein Griff ist bohr!« Ich hingegen, ich hatte mein Messer und meine Kerze, und das war’s.
    Die Flamme brannte höher und höher, und sie schien etwas Gutes zu bewirken. Nur die Piskie hatte mich berührt. Der Kreis, den sie bildeten, zog sich zusammen, doch dann weitete er sich wieder, als versuchten die Kinder, dem Kerzenlicht fernzubleiben. Ich wartete, bis der Kreis sich wieder verengte, und hielt die Kerze auf Armeslänge von mir, um meine Theorie zu überprüfen. Das nächste Kind scheute sofort zurück und zerriss fast die Kette.
    »Wie viele Meilen nach Babylon?«, fragte ich auf gut Glück. Der ganze Kreis wich so schnell zurück, dass einige der kleineren Kinder hinfielen. Das Jüngste, das ich ausmachen konnte, war ein schmächtiger Roan mit wund aussehenden Kiemen, die an den Seiten seines Halses flatterten. Er konnte nicht älter als drei gewesen sein, als er geholt wurde. Oberon allein wusste, wie lange das her war. Die Roan sind seit vielen Jahrhunderten ausgestorben. Eiche und Esche, wie viele Leben hatte dieser Mann zerstört? Warum hatte niemand ihn aufgehalten?
    Für Hass war später noch Zeit. Jetzt ging es nur darum, hier rauszukommen. Ich machte einen Schritt nach vorne. »Erinnert ihr euch nicht an die Antwort? Fünf Dutzend und noch zehn.« Die Kinder wichen noch weiter zurück. Eins von ihnen fauchte. »Komm ich dorthin bei Kerzenlicht? Ja, auch zurück kannst du gehn.« Ich schritt durch ihre Reihen, und in ihrer Hast, dem Kerzenlicht auszuweichen, versuchte keiner mich aufzuhalten. Wo ich hintrat, flohen sie alle, bis auf den kleinen Roan-Jungen, der offenbar nicht mehr auf die Füße kam.
    Ich blieb stehen, missachtete die Gefahr und bot ihm meine freie Hand an. Es war ja nicht seine Schuld. Keiner von ihnen hatte sich das hier ausgesucht. Er hob den Kopf und starrte mich an, die Augen weit und leer. Instinktiv riss ich die Hand zurück, als er zuschnappte, und seine rasiermesserscharfen Zähne verfehlten haarscharf meine Finger. Sie hackten ihm einen tiefen Schnitt in die Oberlippe, und das Blut, das daraus hervorquoll, war praktisch schwarz.
    Das würde mich lehren, Monstern nicht die Hand zu reichen. Ich hielt meine Kerze wie einen Schild vor mich. »Ist dein Fuß klein und ohne Gewicht, kommst du hin und zurück mit der Kerze Licht«, sagte ich, so schnell ich konnte. »Wie viele Meilen nach Babylon? Fünf Dutzend und noch zehn … « Unermüdlich skandierte ich weiter und zog mich an die Wand zurück.
    Die Kinder schlichen wieder zu einem Haufen zusammen und beobachteten mich mit zornigen, leeren Augen. Sich geliebt zu fühlen ist immer schön. Ich setzte meinen Rückzug fort, bis mein Rücken die Mauer berührte. Ich blickte von einer Seite zur anderen. Es gab keine Türen. Keinen Ausweg.
    Ermutigt von meinem plötzlichen Stillstehen pirschten die Kinder wieder näher. Sie umringten mich in einem lockeren Halbkreis, hielten sich aber außer Reichweite. Die Piskie sah mich an und sagte: »Oh, du wirst nicht gehen.« Sie schien die inoffizielle Sprecherin der Gruppe zu sein. Die meisten der anderen brachten wohl ohne Vorsagen nichts Komplizierteres als »eine Neue« zustande. »Es gibt keinen Abschied vor der Zeit.«
    »Ich verstehe«, sagte ich, ohne mich zu rühren. »Gut zu wissen.«
    »Gut und schlecht spielen keine Rolle – weglaufen hat keinen Sinn. Reiter oder Ross, das ist nicht deine Entscheidung. Wenn es das Zweite ist, kommst du in die Ställe. Ist es das Erste, so kommst du zu uns … für eine Weile.« Es war nichts Sanftes in ihrem Lächeln. »Die einzigen Freunde, die du hier finden kannst, zu Feinden machen, das ist nicht schlau.«
    »Vielleicht will sie Feinde«, sagte der Zentaur.
    »Niemand, der schlau ist, will Feinde«, erwiderte die Piskie.
    Wenn ich bedachte, dass ich freiwillig in Blind Michaels Lande gekommen war, hatte ich so meine Zweifel, ob ich als »schlau« gelten konnte. »Was passiert jetzt?«, fragte ich mit bemüht fester Stimme. Sie mieden das Licht meiner Kerze, aber Kerzen halten nicht ewig. Irgendwann würde das Wachs heruntergebrannt

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