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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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Er versuchte ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich konnte nicht umhin, seinen Einsatz zu bewundern, trotzdem setzte ich ihm nach und schrie: »Raj, nicht!«
    Was für ein Zauber es auch war, der mich schützte, er war nicht stark genug, um mich vor meiner eigenen Dummheit zu bewahren. Die Jäger wandten sich in Richtung meiner Stimme, verwundert und erschrocken, als erblickten sie mich zum ersten Mal. Der, den Raj ansprang, schmetterte ihn weg. Er fiel ohne einen Laut und blieb als regloses Häufchen liegen. Die anderen kreisten mich ein, die Waffen gezogen.
    Ich war so damit beschäftigt, ihre Waffen im Blick zu behalten, dass ich den, der mich niederschlug, gar nicht bemerkte. Plötzlich fuhr ein scharfer Schmerz in meinen Hinterkopf, und ich fiel wieder, fiel zurück in Nebeldunst und vom Kerzenschein durchbrochene Dunkelheit. Und dann war da nichts mehr.

Kapitel 11
    I ch erwachte mit dem Gesicht nach unten mitten auf einem marmornen Fußboden, der einst weiß gewesen war, bevor Schichten von Schlamm und Blut ihn unter sich begruben. Mein Schädel hämmerte im Rhythmus einer unsichtbaren Sambakapelle. Ich machte eine schnelle geistige Bestandsaufnahme, die bestätigte, dass mein schmerzender Kopf noch mit dem Rest von mir verbunden war, dann rappelte ich mich auf.
    Ich spürte das Blut, das die Luidaeg zur Herstellung meiner Kerze benutzt hatte, noch ehe ich merkte, dass meine Finger sie immer noch umklammert hielten. Sobald ich sie ansah, flammte sie auf. Die Flamme wuchs auf etwa dreißig Zentimeter Höhe und brannte leuchtend rot. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Raj war nirgends zu sehen. Das konnte heißen, dass es ihm gelungen war, der Jagdtruppe zu entwischen, aber ich glaubte es eher nicht. Vermutlich gab es irgendeine Zeremonie, die er bereits durchlaufen hatte, und der ich – in meiner neuen Rolle als eines von Blind Michaels gefangenen Kindern – noch unterzogen werden musste. In Faerie gibt es immer und überall Zeremonien, selbst in den Teilen, die wir lieber übersehen.
    Die Ruine, in der ich mich befand, war wahrscheinlich einst ein Ballsaal gewesen, ehe sie zum Gefängnis wurde. Die Wände waren ab etwa drei Metern Höhe weggebrochen, und das Dach fehlte ganz. Dornige Ranken bedeckten die Mauern auf drei Seiten und verbargen, ob es Türen gab. Zerfetzte Wandteppiche hingen zwischen dem Dornengestrüpp, ihre Muster verblichen von Dreck und Zeit. Der Himmel war noch finsterer geworden, während ich bewusstlos war, aber es gab immer noch keine Sterne. Überhaupt keine Sterne.
    Schatten, zu dunkel, um sie mit den Augen eines Wechselbalgs zu durchdringen, lauerten am Fuß der Wände, und aus ihrem Inneren drang Kichern und Rascheln. Das verhieß nichts Gutes. Ich habe gelernt, Wesen zu misstrauen, die in solcher Lage lachen. Sie sind entweder wahnsinnig oder aufrichtig beglückt angesichts von Angst und Schmerz, und so oder so bieten sie Grund zur Sorge.
    Ich stand auf und versuchte die zitternde Schwäche in meinen Knien zu ignorieren. Der Reiter, der mich niedergeschlagen hatte, besaß offenbar Routine darin, denn ich war nicht tot – es ist eine Kunst, jemanden von hinten bewusstlos zu schlagen, ohne seinen Schädel zu zertrümmern. Wenn ich Glück hatte, klang der Schmerz ab, bevor ich weglaufen musste. Ich schien mich in letzter Zeit ziemlich oft auf mein Glück zu verlassen.
    Ich brauchte einen Moment, um mich zu versichern, dass ich nicht wieder hinfallen würde. Als ich meinem Gleichgewicht halbwegs traute, rief ich: »In Ordnung, ich weiß, dass ihr da seid. Jetzt kommt raus und lasst euch sehen.« Es klang fast wie ein Echo von Acacias Worten, und das lockte ein schiefes Lächeln auf meine Lippen. Ich fragte mich sogar flüchtig, ob May wohl wusste, wo sie mich fand. Wofür ist ein Holing gut, der nicht da ist, wenn’s ans Sterben geht?
    Meine Stimme hallte von den Wänden wider. Als das Echo verklungen war, kamen die Kinder ins Freie gekrochen. Erst kamen sie in kleinen Grüppchen, immer zwei oder drei, die dicht beisammenblieben, doch die Gruppen wuchsen, als sie dreister wurden, bis sie in Haufen von fünf, sechs und sogar acht anrückten. Sie reichten von Kleinkindern bis zu Teenagern kurz vor dem Erwachsenwerden, und es waren viele, die sich zu schnell bewegten, als dass ich sie zählen konnte. Ich musterte sie und erstarrte. Etwas war verkehrt. Die Kinder waren …
    Die Kinder waren verkehrt. Es war schwer, ihre Herkunft zu erkennen, und meine Augen begriffen nicht, was ich

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