October Daye: Nachtmahr (German Edition)
gekommen. Meine süße Schwester kann dir nicht freies Geleit an meinem Hof gewähren.«
Verdammt. »Dann, weil es nicht so lustig für Euch ist, wenn ihr uns nicht gehen lasst?«
»Hmmmm. Da ist etwas dran, Kind – aber du bist gar kein Kind, richtig?« Er beugte sich vor und runzelte die Stirn. »Du bist nicht mein. Du solltest es aber sein. Was bist du, kleines Mädchen, das nicht mein ist?«
»Ich bin hier unter dem Geleitschutz Eurer Schwester. Nichts sonst an mir ist von Bedeutung. Nun lasst mich gehen und meine Kinder mitnehmen. Ihr habt bereits zugegeben, dass ich Euch nicht gehöre.«
Sein Stirnrunzeln vertiefte sich für einen Augenblick, dann wurden seine Züge kalt und verwirrt. »Du bist Amandines Tochter, richtig? Ja, das bist du. Ich kann es an dir riechen. Warum bist du hier ? Sie kam niemals, und wenn ein Pfad einmal verworfen wurde, soll kein anderer Fuß ihn beanspruchen.«
»Ich will meine Kinder«, wiederholte ich. Ich konnte mir später darüber den Kopf zerbrechen, woher er meine Mutter kannte.
»Nimm sie«, gab er zurück. »Spiel ein Spiel mit mir und rette sie, wenn du kannst.«
Bei seinen Worten klingelte etwas bei mir. Ich richtete mich auf und hoffte, er würde die Erregung in meiner Stimme nicht hören. »Aber ich bin Eure Gefangene. Das ist nicht fair.« Er war ein Kinderschreck, und das brachte eine enge Beziehung zu Spielen mit sich. Noch wichtiger, es hieß, er war darauf angewiesen, fair zu spielen. Kinderspiele scheren sich nicht um gut oder böse, entscheidend ist, dass man fair spielt und die Regeln befolgt. Wenn Blind Michael diesen Gesetzen folgte, würde er fair spielen müssen, denn sonst würde sein Sieg nicht zählen.
Wurzel und Zweig, hoffentlich hatte ich recht. Blind Michael nickte und richtete seine blicklosen Augen auf die Bäume. »Das ist wahr. Spiele müssen fair sein«, sagte er. »Sollen wir also einen Einsatz festlegen?«
»Was für einen Einsatz?«, fragte ich vorsichtig. Wir Fae mögen keine Seelen zum Verspielen haben, aber es gibt anderes, was wir verlieren können.
»Meine Jäger können dich nicht sehen, solange du das Zeichen meiner Schwester hältst.« Er zeigte auf die Kerze. Bingo. Sie konnten mich nicht direkt erkennen. Die Kinder konnten es aber. Darum beobachtete er mich durch sie. »Ich gebe dir einen Vorsprung, bevor ich meine Jäger loslasse. Wenn sie dich finden, wenn sie dich fangen können, dann gehörst du mir für immer. Wenn du deine Kinder befreien kannst, dann … «
»Wenn ich sie befreien kann, folgt Ihr uns nicht jenseits Eurer Lande.«
»Einverstanden. Die Kinder, die du beanspruchst, dürfen mit dir gehen, wenn du mir entkommen kannst.«
Ich musste irgendetwas übersehen haben, aber es war keine Zeit für Diskussionen. »Abgemacht.«
Sein Ausdruck wurde spöttisch. »Also lauf, kleines Mädchen, so weit dich deine Kerze bringt. Du hast etwas Zeit, bis ich meine Jagd loslasse, doch meine Geduld reicht nicht weit.« Er lehnte sich auf seinem Thron zurück. »Geh.«
Hinter mir raschelte etwas. Ich drehte mich um und sah, dass die Kinder auseinandergerückt waren und eine Gasse zu der Ebene hinter den Bäumen geöffnet hatten. Ohne einen Blick zurück rannte ich los. Die Kerze hielt ich dicht an meinen Leib gedrückt, um sie gegen den Wind abzuschirmen. Blind Michaels gesamter Hof heulte und johlte hinter mir her, sie versuchten mich abzulenken. Ich rannte stur weiter, bis ich durch die Kinder hindurch war, dann durch die Bäume, und dann versiegte der Lärm des Hofes. Plötzlich war ich wieder auf der dunklen Ebene, dort, wo ich angefangen hatte, umgeben von leerem Ödland und meilenweit entfernt von meinem Ziel.
Nur dass jetzt Blind Michaels gesamter Hof wusste, dass ich hier war. Und sie würden bald hinter mir her sein. Na, wunderbar.
Kapitel 12
D ie Landschaft hatte sich seit meiner Ankunft in Blind Michaels Landen nicht verändert. Sogar meine Fußspuren waren noch unversehrt und zeigten mir, wo ich angekommen war. Ich drehte mich, um die fernen Berge zu betrachten. Dort warteten Blind Michael und sein Hof, und dort hielt er vermutlich auch die Kinder fest. Irgendwie hatte mich meine panische Flucht wieder zum Ausgangspunkt der Reise gebracht, ohne an Boden gewonnen oder verloren zu haben … doch jetzt wusste Blind Michael, dass ich kam. Ich musste zurück an seinen Hof, meine Kinder stehlen und entkommen, und alles, ohne gesehen zu werden.
Planung hat nie zu meinen großen Stärken gehört – ich bin besser
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