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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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darin, Hals über Kopf ins kalte Wasser zu springen – , aber ich weiß, wann ich im Nachteil bin. Blind Michael war größer und stärker. Ich musste irgendeine Art von Plan haben, bevor ich mich ihm wieder näherte, oder ich würde bei dem Haufen Missbildungen landen, der im Kindersaal herumspukte. Ich unterdrückte einen Schauder. Der Tod wäre besser als diese Verunstaltung und ewige Sklaverei bei einem Wahnsinnigen, der sich für einen Gott hielt. Aber genau deswegen würde er vermutlich alles daransetzen, mich nicht sterben zu lassen. Solche Leute legen Wert darauf, ihr Spielzeug zu behalten, egal wie sehr es kaputtgeht.
    Das bedeutete schlicht und einfach, ich durfte mich von ihm nicht fangen lassen. Ich wandte mich von den Bergen ab und betrachtete den Wald. Er war näher als die Berge. Ich konnte die Grenze der Bäume in weniger als einer Stunde erreichen, wenn ich mich beeilte.
    »Blind Michael sagte, der Wald gehört seiner ›Gefährtin‹«, murmelte ich vor mich hin und dachte an die gelbhäutige Frau. Sie hatte nicht besonders freundlich ausgesehen. Normalerweise bin ich immer bereit, einen voreiligen ersten Eindruck zu überdenken, aber sie war Blind Michaels Gefährtin, sodass sich das vermutlich erübrigte. Zudem hatte der Zauber der Luidaeg mich vor ihr versteckt. Ich bezweifelte, dass sie das zu einer Verbündeten machte. »Also wollen wir lieber nicht da lang gehen.« »Nicht in den Wald gehen« war der Anfang eines Plans. Nun fehlte mir nur noch ein Weg zurück, sodass ich wieder an Blind Michaels Hof gelangen, die Kinder retten und sie aus diesen Landen schaffen konnte, natürlich ohne mich von den Legionen schwer bewaffneter und extrem zuversichtlicher Handlanger erwischen zu lassen. Warum konnte nichts je einfach sein?
    Als ich mich in Richtung der Berge in Bewegung setzte, brannte meine Kerze in beruhigendem Blau. Unwillkürlich bewegte ich mich auf einem Zickzackkurs, suchte immer die Nähe von leicht zu erreichender Deckung. Das war keine bewusste Entscheidung, und doch war es womöglich die beste Idee, die ich an diesem Tag gehabt hatte. Die Reiter konnten mich zwar nicht richtig sehen – dafür sorgte der Spruch der Luidaeg – , aber sie hatten mich rasch entdeckt, als ich fahrlässig ihre Aufmerksamkeit erregte. In gerader Linie auf Blind Michaels Thron loszumarschieren könnte man durchaus als »Aufmerksamkeit erregen« bezeichnen.
    Der Himmel schaffte es irgendwie, noch dunkler zu werden, und dicker Nebel stieg vom Boden auf, als es wirklich Nacht wurde. Immerhin brannte meine Kerze beständig wie nur je, und das Wachs schmolz weiterhin hartnäckig nicht. Das war auch besser so. Ohne das Geschenk der Luidaeg, das mich schützte, hier in der Falle zu sitzen, das wäre eine üble Wendung. Eine sehr, sehr üble Wendung.
    Die Stunden vergingen langsam, gemessen an der Verdunkelung des Himmels. Meine Beine schmerzten, aber ich schien nicht voranzukommen. Die Berge waren immer noch genauso weit weg wie bei meinem Aufbruch. Ich blickte mich um, plötzlich voller Argwohn. Der Abstand zum Wald war kein bisschen größer geworden.
    »Oh, Maeves Knochen «, stöhnte ich. Natürlich arbeitete das Land gegen mich. Wir waren tief genug in den Sommerlanden, dass die gesamte Schäre sich wie ein gigantischer Mugel verhalten konnte, dem Willen seines Eigentümers unterworfen. Blind Michaels Wort war hier Gesetz, und er wollte nicht, dass ich entkam.
    Ich stampfte mit dem Fuß auf und unterdrückte das Verlangen zu schreien. Vielleicht war das kindisch, aber wenn man nicht mal kindisch sein darf, obwohl man ein Kind ist, was soll dann das Ganze? Ich war stundenlang gelaufen. Meine Kopfschmerzen ließen nicht nach, der lange Marsch ohne Wasser oder Aspirin hatte sie eher noch verschlimmert. Ich fühlte mich, als ob kleine Männer mit Presslufthämmern versuchten, in meinem Gehirn neue Leitungen zu verlegen. Meine Knie taten weh. Meine Beine taten weh. Ich war so durstig, dass bloßes Schlucken schon meine Kehle aufschürfte. Alles, was ich wollte, war eine Gelegenheit, mich irgendwo zusammenzurollen und zu schlafen, bis alles besser wurde. Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Es musste eine Lösung geben, irgendwo. Ich musste mich nur dazu bringen, sie zu erkennen.
    Ich wanderte bis zum nächsten Dornendickicht und ließ mich auf Hände und Knie fallen, um hineinzukriechen. Als ich die erste Reihe Dornen passiert hatte, hielt ich inne und sah mich erstaunt um. Ganz eindeutig war ich nicht die Erste,

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