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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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es fühlte sich an, als wäre es wichtig. Etwas, woran ich mich unbedingt erinnern sollte. Nicht dass ich je den Blick in Karens Augen vergessen könnte, selbst wenn ich wollte.
    Mein Gegrübel lenkte mich so sehr ab, dass ich das Rascheln überhörte, bis mich etwas an der Schulter packte. Diese Art Fehler kann man gewöhnlich nur einmal machen, weil man danach normalerweise tot ist. Ich wirbelte herum, so schnell es das Buschwerk erlaubte, achtete nicht auf die Dornen, die meine Wange aufrissen, und holte mit der freien Hand aus, um meinem Angreifer einen Hieb zu versetzen. Eine Beute, die sich unverhofft wehrte, mochte ihn vielleicht hinlänglich durcheinanderbringen, dass ich aus den Dornen herauskam und fliehen konnte.
    Dann erstarrte ich mit der Faust in der Luft. Ich gaffte, Quentin gaffte zurück. Die Dornen hatten ihn auf Hände und Knie gezwungen. Mit dem getrockneten Schlamm im Gesicht und in den Haaren sah er eher aus wie ein Darsteller der Fortsetzung von Herr der Fliegen als wie ein wohlbehüteter Höfling. Spike kauerte auf seiner Schulter und sah ziemlich ungerührt aus. Ich nehme an, wenn man selbst aus Dornen besteht, machen ein paar mehr keinen großen Unterschied.
    »Quentin!« Ich senkte langsam die Hand. Spike bedachte mich mit einem gekränkten Blick, und ich fügte hinzu: »Spike! Was macht ihr denn hier?«
    Quentin brauchte einen Moment, um seine Stimme wiederzufinden. Er starrte mich offenen Mundes an, dann stammelte er: »T-Toby?«
    »In Fleisch und Blut.« Ich blickte an mir herab und schnitt eine Grimasse. »Sozusagen. Wie verdammt noch mal bist du hierhergekommen?« Willst du dich unbedingt umbringen lassen? Hast du nicht eine Sekunde nachgedacht, bevor du dich auf was auch immer eingelassen hast, um mir zu folgen?
    Idiot. Narren, Kinder, und Helden.
    »Ich – die Luidaeg sagte, du wärst hier. Sie sagte, ich soll nach dem Kerzenlicht Ausschau halten.« Er wies auf meine Kerze. »Aber ich wusste nicht, dass du … «
    »Ja, das wirkt auch von innen ein bisschen verrückt. Ich frage nochmals, was machst du hier?«
    Er war zur Luidaeg gegangen. Oh, Wurzel und Zweig. Die Luidaeg kann zugewandt sein, wenn sie will, aber ihre Gaben sind niemals umsonst. Was hatte er bezahlt, um mich zu finden?
    Quentin nahm eine steife Haltung an und sah kurz weg, dann wandte er sich mir wieder zu und erklärte mit einer harten Klangfarbe, die wohl einen Befehlston darstellen sollte: »Ich bin wegen Katie hier. Du lässt mich jetzt helfen.«
    Im Laufe meines Lebens haben mich schon viele Leute herumkommandiert. Manche von ihnen waren sehr gut darin, einige wenige sogar so gut, dass ich auf sie hörte. Quentin hatte sein Erbe und die Geschichte auf seiner Seite, aber er hatte nicht die nötige Erfahrung, und wenn man will, dass ich mich füge, ist Erfahrung entscheidend. Es hilft auch, wenn man dabei nicht auf Händen und Knien herumrutscht.
    Ich schnaubte. »Tut mir leid, aber das kommt nicht infrage. Geh nach Hause. Es ist zu gefährlich.«
    »Das ist mir egal. Die haben Katie. Ich gehe nirgendwohin, bis wir sie befreit haben.«
    »Es gibt hier kein ›wir‹, Quentin. Du musst zurück.«
    »Warum? Es kann kaum schlimmer werden als der Trip, wo wir Jan helfen wollten. Da war ich gut genug, um mitzudürfen. Ich bleibe. Du kannst mich nicht wegschicken.«
    Wie verdammt noch mal sollte ich ihm Blind Michael erklären? Niemand hätte mich je geziemend vor ihm warnen können. Man kann jemanden nicht beschreiben, der so gewaltig und alt ist, dass er den Himmel ausfüllt. Die Worte dafür existieren gar nicht.
    »Quentin, sieh mich an«, sagte ich. »Siehmich richtig an. Also pass auf. Das ist nicht bloß irgendein Trugbild – das ist wirklich. Dies ist nicht die Welt, die du kennst. Wir sind hier auf einer Schäre. Was sagt dir das?«
    »Dass die Dinge hier anders laufen«, erwiderte er. Spike sprang ihm von der Schulter, kam herüber und lehnte sich an mein Knie. Ganz automatisch begann ich ihn unter dem Kinn zu kraulen. Meine Haustiere haben mich gut abgerichtet. Unerschrocken verkündete Quentin: »Die Luidaeg hat mich gewarnt. Ich hab keine Angst.«
    Natürlich hatte er keine Angst. Die Angst kommt erst später, wenn der Schmerz einsetzt. »Du musst zurück nach Hause.«
    »Nicht ohne Katie.« Ich hatte das Gefühl, dass seine Stimme durch die Dornen hallte und weithin über die Ebene schallte. Ich duckte mich. Er hatte keine Kerze, Blind Michael konnte ihn sehen. Wenn wir weiterstritten, war ich vielleicht

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