October Daye: Nachtmahr (German Edition)
und lauf! Ich halte sie auf!«
»Tut mir leid, das wird nichts«, sagte ich. Wenn ich schon sterben musste, dann aufrecht. Nicht kriechend auf dem Höhepunkt meines spektakulärsten Versagens. »Du könntest doch nicht mal meine Katzen aufhalten. Was fällt dir überhaupt ein, hier unbewaffnet aufzukreuzen.«
»Aber – «
»Kein Aber. Hier.« Ich drehte mich um und drückte ihm meine Kerze in die Hand. Die Reiter sahen ihn, weil er sie nicht trug. Hoffentlich änderte sich das Spiel jetzt. »Halt das mal für mich, ja?«
»Was machst du – «
»Du kommst hin und zurück mit der Kerze Licht. Merk dir das.« Die Reiter stellten sich auf ein neues Ziel ein. Keiner von ihnen sah Quentin noch an. Spike und ich waren jetzt im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Die Kerze tat ihren Dienst, Oberon sei Dank. »Na, Jungs? Feiern wir ’ne Party, oder was?«
»Du kommst mit uns«, donnerte ihr Sprecher.
»Guter Spruch. Den muss ich mir merken.« Ich hatte sie verwirrt. An schlagfertige, freche Kinder ohne Tränen in den Augen waren sie wohl nicht gewöhnt. Vielleicht schaffte ich es, an ihnen vorbeizukommen, wenn ich jetzt losrannte. Das würde allerdings Quentin nichts nützen, es sei denn, ich konnte mich wirklich auf die Kerze verlassen. Ich musste mich auf die Kerze verlassen. Wenn Quentin still hielt, sollte er aus dem Schneider sein.
»Eines noch«, sagte ich und bemühte mich, eine Tapferkeit zur Schau zu stellen, die ich nicht empfand. Der Reiter beugte sich vor, und ich rannte los, schoss, so schnell ich konnte, durch die Lücke zwischen den nächsten beiden Reitern. Sie wendeten, aber nicht schnell genug, um mich aufzuhalten. Trotzreaktionen mochten sie kennen, aber durchdachte Aktionen waren ihnen neu. Ich rannte zwischen den Pferden hindurch und auf den Wald zu, ohne mich umzusehen. Wenn ich die Bäume erreichte, überlebte ich vielleicht. Wenn ich überlebte, gab es noch eine Chance. Solange es eine Chance gab, konnte noch alles gut werden.
Der Hufschlag setzte fast sofort ein. Es klang, als wären sie alle hinter mir her. Gut. Das dürfte Quentin Zeit geben, sich davonzumachen und zu Ende zu bringen, was ich begonnen hatte. Er war ein kluger Junge, und in Zahmblitz hatte er sich wacker geschlagen. Er konnte es schaffen, wenn er schlau war. Du kommst hin und zurück mit der Kerze Licht. Er konnte entkommen. Der erste Speer fuhr ein paar Schritte vor mir mit dumpfem Aufschlag in den Staub. Ich kam ins Stolpern, rannte aber weiter, dem Waldrand entgegen. Blind Michael wollte mich wahrscheinlich lebend. Das würde sie nicht davon abhalten, mich zu verletzen. Wechselbälger können einiges an Schaden überstehen, und Fae-Magie heilt praktisch alles. Ich glaubte kaum, dass sie artig spielen würden.
Der zweite Speer traf mich von hinten in den linken Oberschenkel. Auf den ersten scharfen Schmerz folgte eine verstörende Taubheit, die sich in meinem Bein ausbreitete und mein Knie lähmte. Ich stolperte, verlor das Gleichgewicht und stürzte.
Spike sprang von meiner Schulter, stellte sich den Reitern entgegen, rasselte mit den Dornen und sang einen schneidenden hohen Warnlaut. Diese Zurschaustellung war so tapfer, wie sie dumm war. Sie würden meinen armen Kobold zermalmen und mich trotzdem einkassieren. Ich wollte Spike befehlen wegzulaufen, aber ich war plötzlich zu müde dafür. Die Taubheit breitete sich nach oben aus, machte das Denken schwer, das Bewegen, das Atmen. Gift. Verdammt, Luidaeg, schreibt eigentlich irgendein Gesetz vor, dass Erstgeborene niemals fair spielen können?
Die Reiter bildeten einen Halbkreis um uns und hielten an, die Waffen im Anschlag. Nur einen Halbkreis? Ich zwang mich, den Kopf zu heben, und blickte direkt in die Bäume am Waldrand. Wir hätten es beinahe geschafft. Eiche und Esche, ich war so nah dran gewesen …
Ich ließ den Kopf wieder sinken und schloss die Augen. Ich war müde. Ich war so schrecklich müde, und das Gewicht des Speers, der aus meinem Bein ragte, schien mich zu zerquetschen. Hinter mir hörte ich Spike mit rasselnden Dornen in den Wald eilen. Gut. Wenigstens einer von uns kam hier lebend raus. Im Rennen stieß er schrille, klagende Töne aus, als riefe er um Hilfe. Schade, dass es keine Hilfe gab.
Die Taubheit hatte sich schon fast in meinem ganzen Körper ausgebreitet, als mir auffiel, dass die Reiter sich nicht rührten. Sie hatten mich umzingelt, aber keiner kam heran, um mich zu ergreifen. Verdammt, warum nicht? Sie hatten doch längst gewonnen,
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