October Daye: Nachtmahr (German Edition)
»Schnell!«, brüllte sie wie ein gruseliges Echo von Karens Stimme. »Du hast sie zu lange brennen lassen!«
Ich vergeudete keine Zeit mit Nachdenken. Ich riss meine Hand aus den Dornen, packte Andrew und warf ihn ihr entgegen, dann stieß ich Jessica hinterher. Raj und Quentin schalteten schnell und schoben die Kinder auf die Tür zu. Katie und Helen waren unter den Ersten. Dann kamen die Reiter über den Hügel, und wilde Panik griff um sich, als alle Kinder in Richtung Freiheit stürmten. In null Komma nichts standen nur noch Raj, Spike und ich auf der falschen Seite einer Tür zwischen den Welten.
»Toby, komm schon!«, schrie Quentin, drehte sich um und streckte die Hände aus. Ich schaute über die Schulter nach hinten und stieß ihm Raj in die Arme. Das Gewicht des Cait Sidhe warf Quentin rückwärts um und öffnete mir so den Fluchtweg. Spike sprang mit einem Fauchen hinterher.
Es war so weit. »Toby!«, brüllte die Luidaeg. Ich sprang los und griff nach ihr –
– und eine Hand schloss sich um meinen Fußknöchel und zerrte mich zurück. Ich schrie und versuchte verzweifelt an den Dornen Halt zu finden.
»Die Kerze!«, rief die Luidaeg. »Du brauchst sie nicht mehr!«
Die Kerze? Ich schnellte herum und warf sie von mir, so fest ich konnte. Ich erhaschte einen Blick auf Dunkelheit und Hörner, als sie den Reiter traf, der mich festhielt. Er ließ meinen Knöchel los und stürzte schreiend hintenüber. Dann bekam mich die Luidaeg zu fassen und zog mich durch das Loch in der Welt. Alles wurde schlagartig finster. Es gab einen Knall, als ob sich etwas versiegelte, und plötzlich war das Licht wieder da. Ich lag auf der Luidaeg, mitten auf ihrem Küchenfußboden, um uns herum verängstigte, weinende Kinder. Blinzelnd versuchte ich zu begreifen, was passiert war.
»Bist du jetzt fertig, oder brauchst du erst mal ein Schläfchen?«, fragte sie harsch. »Du bist schwer. Runter von mir.«
»Tschuldigung.« Ich wuchtete mich hoch und zuckte zusammen, als ich Gewicht auf meine zerstochenen Hände legte. Die Küche wirkte zu groß, und die Kinder waren mir in der Größe immer noch zu ähnlich. Blind Michaels Lande zu verlassen hatte den Bann offensichtlich nicht aufgehoben. Na toll. »Sind alle da?«
»Alle«, rief Raj, der gerade einem anderen hochhalf. »Wir sind alle hier.«
»Und am Leben«, ergänzte Helen. Ich sah mich um und vergewisserte mich selbst. Die Kinder waren verängstigt und weinten, aber keins von ihnen sah schlimmer aus als in der Ebene. Katie hockte seitlich auf einem der wenigen intakten Stühle, und Quentin stand an ihrer Seite. Er strich ihr übers Haar und zuckte zusammen, als seine Finger einen weißen Fleck berührten. Doch mein Bannspruch hielt, sie lächelte und bekam nichts mit.
»Oh, Maeve sei Dank«, ächzte ich und sah wieder die Luidaeg an. »Deine Geschenke haben gewirkt.« Mit dem Dank an ihre Mutter kam ich einem Dank an sie selbst so nahe, wie ich durfte.
Sie schmunzelte, und das Braun kehrte in ihre Augen zurück. »Ich wusste es. Du hast es geschafft.«
»Ja, das haben wir.« Ich hielt inne. »Luidaeg … ich bin immer noch ein Kind.«
»Und zwar ein niedliches.« Sie grinste. »Wette, deine Mama konnte sich nicht sattsehen an dir. Du bist jetzt allerdings ein bisschen perforiert, das kommt davon, wenn man sich mit Dornen kloppt.«
»Wie lange hält das noch an?«
»Nicht lange.« Sie wurde wieder ernst und schüttelte den Kopf. In der Dunkelheit ihrer Augen lag etwas Seltsames, das ich nicht zu deuten wusste. Es gefiel mir nicht. »Gar nicht lange.«
»Luidaeg?«
»Was?« Sie runzelte die Stirn, und das Seltsame verschwand. »Los jetzt, schaff mir die Gören hier raus. Ich kann Kinder nicht ausstehen.«
»Natürlich.« Die Luidaeg reize ich grundsätzlich nicht, wenn sie nicht gereizt werden will. Ich hab ja keine Lust, als Zwischenmahlzeit zu enden. »Kann ich dein Telefon benutzen?«
»Wozu?«, fragte sie.
»So kann ich ja wohl schlecht Auto fahren.« Die Vorstellung von einem Wagen voller Kinder auf der Überholspur der Autobahn war zwar amüsant, aber nicht praktikabel. Zumal ich gar nicht an die Pedale herankommen würde. »Jemand muss uns abholen kommen, es sei denn, du möchtest uns fahren.«
Sie zog die Nase kraus. »Ich und Taxi spielen? Nee.«
»Dachte ich mir.« Andrew und Jessica klammerten sich immer noch aneinander, als ich mich aus der Küche stahl und ins Wohnzimmer ging. Das Telefon stand auf einem Beistelltisch neben der Couch. Ich
Weitere Kostenlose Bücher