October Daye: Winterfluch (German Edition)
Augen auf und starrte an die Decke. Nicht tot. Das war immerhin ein Anfang. Ich hatte einen entsetzlichen Geschmack im Mund, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er beim Endspiel der Fußballmeisterschaften der Sommerlande als Ball verwendet worden. Zählte ich die Schmerzen in meiner Schulter und meinem Oberschenkel hinzu, kam ich zu dem Schluss, dass ich am besten bis, na, sagen wir, bis irgendwann im März weiterschlafen sollte. Jedenfalls war es mir bereits gelungen, den Sonnenaufgang zu verschlafen, was bewies, dass eine Eisenvergiftung und hoher Blutverlust die besten Betäubungsmittel überhaupt sind.
Wenigstens blutete ich dank Devin und Lily nicht mehr. Wenn ich ein paar Stunden überstehen könnte, ohne dass jemand beschloss, dass die Welt ohne mich ein besserer Ort wäre, würde ich mich vielleicht sogar wieder wie ein normaler Wechselbalg fühlen.
Ich stemmte mich in eine sitzende Haltung, tastete auf dem Boden nach meinem Morgenrock und runzelte die Stirn, als mir klar wurde, dass die Katzen nicht verlangten, gefüttert zu werden. »Seltsam.« Cagney und Lacey forderten immer Frühstück, wenn sie Anzeichen dafür erkannten, dass ich wach sein könnte. »Mädels?«
Keine Antwort.
Beunruhigt streifte ich den Morgenmantel über, verließ das Zimmer und hielt nach meinen vierbeinigen Mitbewohnerinnen Ausschau. »Mädels? He, das ist nicht komisch, ihr beide n … « Sie antworteten immer noch nicht. Wenigstens trug das Bein mein Gewicht, ohne sich allzu sehr darüber zu beschweren.
Wie ich erwartet hatte, war Devin verschwunden. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mir eine Nachricht zu hinterlassen. Nur die Tasse auf meinem Flurtisch, dessen Seiten dieses dickflüssige, gelbe Zeug verkrustete, zeugte davon, dass er hier gewesen war. Ich ergriff die Tasse, hielt inne und schluckte schwer. Das Lämpchen an meinem Anrufbeantworter blinkte.
»Bitte, nicht schon wieder«, murmelte ich und drückte die Wiedergabetaste. Das Gerät gab einen Piepton von sich.
»October, hier ist Pete.« Mein Vorgesetzter klang zutiefst unglücklich darüber, mit meinem Anrufbeantworter zu reden. In Anbetracht dessen, wie schwierig es ist, brauchbares Personal für die Nachtschicht zu bekommen, konnte ich ihm keinen Vorwurf daraus machen.
»Oh Mist«, stieß ich hervor und lehnte mich an die Wand. Ich wusste, was als Nächstes kommen musste. Seit ich aus dem Teich entkommen war, hatte ich es schon viele Male gehört.
»Ich habe dich gedeckt, so gut ich konnte, aber du hast seit mittlerweile zwei Nächten nicht angerufen und bist nicht aufgekreuzt. Ich fürchte, nun müssen wir dich entlassen. Dein letzter Lohnscheck geht an die Adresse, die wir in den Akten haben.« Kurz zögerte er, dann fügte er hinzu: »Was auch immer los sein ma g … ich hoffe, es geht dir gut.«
Damit endete die Nachricht.
»Schussverletzungen, eine Eisenvergiftung, eine tote Freundin, verschwundene Katzen, und jetzt muss ich mich auch noch nach einem neuen Job umsehen«, brummte ich, stieß mich von der Wand ab und schluckte meine Erleichterung darüber hinunter, dass die Nachricht nichts noch Schlimmeres bedeutet hatte. Es hatte keinen weiteren Todesfall gegeben. Nach den Dingen, die sich in letzter Zeit ereignet hatten, kam das einer Gnade gleich. »Verdammt, Evening, hättest du dir nicht jemanden aussuchen können, der nicht irgendwie die Miete bezahlen muss?«
Ich ging ins Wohnzimmer und zuckte zusammen, als ich die Pistole auf dem Kaffeetisch erblickte. Jemand versuchte sehr real, mich zu töten, und die Waffe in meinem Wohnzimmer wirkte plötzlich wie ein Symbol für den ganzen Schlamassel. Ich trat mit dem heilen Bein so gegen den Tisch, dass die Pistole heruntergeworfen wurde, über den Boden schlitterte und hinter den Vorhängen verschwand.
»Ich hasse dich, Evening!«, brüllte ich. »Ich hasse deine Pflicht und dein Sterben un d … und dass du dich verdrückst und mich mit all dem Mist allein lässt!« Ich verstummte. Meine Wut verpuffte so jäh, wie sie eingesetzt hatte. Ich tat damit ja niemandem etwas Gutes. Nicht einmal mir selbst.
Auf die Stille nach meinem Ausbruch folgte ein vertrautes, wenngleich gedämpftes Geräusch: die Stimmen von Siamkatzen, zum zornigen Protest über ihre schlechte Behandlung durch die Welt erhoben. »Mädels?« Das Miauen führte mich zur Vordertür. Ich öffnete sie, und die Katzen rasten mit angelegten Ohren herein, die Augen geweitet und wirr. Ich starrte sie an. »Du meine Güte,
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