October Daye: Winterfluch (German Edition)
als tröstlich, dass sich mein Bild immer in der Collage hinter Devins Schreibtisch befinden würde, ganz gleich, was mir widerfahren sollte.
»Ja«, bestätigte er, wobei seine Stimme leiser wurde. »Es gibt immer noch andere Kinder.« Wie viele hatte er sterben, verschwinden oder vergehen sehen? Ich hatte das Heim für Sylvesters Hof verlassen, weil ich es so für besser hielt. Devin hatte mich dadurch zwar verloren, aber zumindest wusste er, wohin ich gegangen war. Wie viele seiner Kinder verließen ihn und kehrten niemals zurück?
Und wie viele beerdigte er in namenlosen Gräbern, nachdem die Nachtschatten hier gewesen und wieder verschwunden waren? So viele Wechselbälger sind wie ich, die geraubten Überlebenden angeblicher Kindstode. Niemand würde sie je vermissen. Niemand würde nach ihnen suchen. Wenn ich bei einem der Höfe im Königreich von Engels anriefe und nach einem Silene-Wechselbalg namens John oder nach einem Halb-Gremlin namens Kleiner Mike fragte, würde dort irgendjemand wissen, von wem ich redete? Ich wusste, was Devin war. Ich hatte es immer gewusst. Und ich musste dafür sorgen, dass ich es nicht vergaß.
Ich vergrub die Finger in meinem Rock und versuchte, diesen Gedankengang zu verdrängen. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzugrübeln. Später vielleicht. Ich konnte ja später noch deswegen weinen, wenn Devin mich nicht sah. »Ich denke, wir sollten uns dem eigentlichen Thema zuwenden. Bestimmt musst du dich noch mit anderen Leuten treffen.«
»Was brauchst du, Toby?«, fragte er. Überrascht schaute ich auf. Er hatte gar nicht vor zu feilschen: Er würde mir einfach geben, was immer ich verlangte. Das hatte ich meiner Rückkehr von den Toten zu verdanken. Ich hatte ihm gehört, und er hatte mich aufgegeben. Dann kam ich zu ihm zurüc k – wie sollte er mir da etwas abschlagen?
Es dauerte einen Augenblick, bis ich mich fasste. Schließlich sagte ich: »Ich muss herausfinden, wer Evening umgebracht hat.«
»Wieso?«
»Damit ich es denjenigen heimzahlen kann, und zwar mit gleicher Münze.«
»Wenn ich wüsste, wer sie umgebracht hat, würde ich diejenigen selbst töten.«
»Das ist nicht deine Aufgabe, Devin.«
»Was macht es zu deiner?«
Ich holte tief Luft und spürte, wie Phantomdornen über meine Haut schabten. »Evening hat mich angerufen, bevor sie starb. Sie wusste, was ihr bevorstand, Devin; sie wusste, dass jemand kommen würde, um sie zu töten.«
Er erstarrte und verengte die Blumenblütenaugen. »Sie wusste es?«
»Ja, sie wusste es. Keine Ahnung, warum sie nicht geflüchtet ist.«
»Vielleicht hatte sie ja keine Zei t … «, schlug er vor. »Hat sie dir denn gesagt, was sie glaubte, wer hinter ihr her war? Oder warum?«
»Nei n – wenn sie es wusste, hat sie es mir jedenfalls nicht verraten. Aber sie hat mich angeheuert, um diejenigen zu finden.« Im Grunde genommen entsprach das der Wahrheit. Dass sie mich gebunden hatte oder wie eng, brauchte ja niemand zu wissen. »Ich arbeite an einem Fall, Devin, und ich kann nicht kündigen, zumal die Person, die mich angeheuert hat, tot ist.«
»Dann kannst du aber auch nicht bezahlt werden.«
»Mir egal.« Um Geld ging es hier ja gar nicht, sondern ums bloße Überleben. »Sie war meine Freundin, und ich werde das für sie tun.«
»Hast du vor, ihr zu folgen?« Sein Tonfall war kalt.
Gut, wenn er es auf diese Weise spielen wollte, dann würden wir das eben tun. Es war ja sein Spielfeld. Manuel hatte die Einzelheiten nicht gekannt, und ich hätte gewettet, dass dies auch für Devin galt. »Nein«, entgegnete ich knapp. »Und wenn ich sterben wollte, würde ich nicht Selbstmord begehen, indem ich mich jemandem ausliefere, der einer Frau die Kehle mit einer Eisenklinge durchschneidet.«
Devin zögerte. »Was?«
»Eisen.« Es bedurfte einer gehörigen Anstrengung, einen nüchternen Tonfall zu wahren. »Sie wurde angeschossen, damit sie nicht wegrennen konnte, danach wurde ihr die Kehle aufgeschlitzt.« Ich schluckte ob des plötzlichen Geschmacks von Rosen und drängte die Erinnerungen an Evenings Tod zurück, samt den Empfindungen, die auch noch dazugehörten. Die wunderbaren Nebenwirkungen der Blutmagie.
»Woher weißt d u … «
»Ich bin Amandines Tochter, schon vergessen?« Ich schwenkte eine Hand und brauchte die Ironie in meiner Stimme gar nicht vorzutäuschen, als ich sagte: »Ich musste doch nur tun, was mir natürlich gegeben ist.«
»Dann weißt du, wer sie getötet hat«, meinte er
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