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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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verletzt, dass wir nicht wussten, wie wir sie wieder zusammenflicken sollten. Und selbst da zögerten wir noch, weil wir die Konsequenzen fürchteten. Niemand störte Devin ohne triftigen Grund.
    »Dare, komm zurück und begleite Ms. Daye zu ihrem Auto. Sofort«, befahl er. Wenn sich Dare gerade im Barbereich aufhielt, würde sie kommen. Wenn nicht, würde jemand anders an ihrer Stelle antanzen, und sie steckte in mächtigen Schwierigkeiten.
    Zu ihrem Glück war sie nicht hinausgegangen, um eine Zigarette zu rauchen. Wenige Minuten später öffnete sich die Tür. Zum Vorschein kamen eine äußerst nervöse Dare und ihr etwas entspannterer älterer Bruder. Beide wirkten nicht gerade glücklich. Das war meine Schuld, aber ich war noch zu verwundert, als dass es mich wirklich kümmerte. Ich hatte nicht gewusst, was Evening diesen Leuten bedeutet hatte. Ich hätte es nie vermutet, es mir nie träumen lassen, und doch hätte ich es wissen müssen. Was war nur mit der Welt geschehen, während ich fort war? Wie viel musste sich geändert haben, dass sich das hochmütigste Reinblut, das ich kannte, an einen Ort wie dieses Heim begab und sich hier solchen Respekt erwarb?
    »Sir«, sagte Dare und verbeugte sich auf eine Art, die ungefähr so aussah wie der Knicks einer Sechsjährigen. »Ich soll Ms. Daye zu ihrem Auto begleiten?« Ihr Akzent war erheblich abgeschwächt, wenn sie mit Devin sprach. Der blaue Fleck in ihrem Gesicht erblühte mittlerweile richtig und nahm Violett- und Goldtöne an.
    Devin verengte die Augen. Früher hatte ich immer abzuwägen versucht, wie viel des »Blicks« echt und wie viel gespielt war, bis mir klar wurde, dass es gar keine Rolle spielte. Er funktionierte. Das allein zählte. Devin mochte lügen, aber er erzielte immer Ergebnisse. »Deshalb habe ich dich gerufen, Dare. Du kannst doch hören, oder?«
    Sie wand sich förmlich. Manuel sah mich mit flehenden Augen an. Ich zuckte nur mit den Schultern. Bei einer Gelegenheit hatte mich Devin einmal mit demselben Blick und denselben Worten bedacht; ich war nicht so töricht gewesen, seine Autorität bei jemandem zu untergraben, der noch glaubte, dass sie etwas zu bedeuten hatte. Dare verlieh ihm alle Macht, die er über sie besaß. Sobald sie erwachsen genug sein würde, um zu erkennen, dass Devin sie nur kontrollieren konnte, solange sie es zuließ, würde sie klarkommen. Und wenn sie nie so erwachsen werden sollte, gehörte sie ohnehin ins Heim, wo sich andere um die echte Welt kümmerten, während sie die lästigen Routinearbeiten übernehmen konnte.
    »Ja, Sir«, erwiderte Dare und straffte die Schultern. »Ich kann hören, Sir. Ich bringe sie sofort zu ihrem Auto, es ist nicht weit. Danach komme ich zurück und warte, wie es mir aufgetragen wurde.«
    Devin lehnte sich mit einem Nicken auf dem Stuhl zurück. Hätte ich ihn nicht so gut gekannt, er hätte mir Angst eingeflöß t – und da ich ihn so gut kannte, flößte er mir stattdessen regelrechtes Grauen ein. Er inszenierte diese kleine Aufführung allein für mich, um mich daran zu erinnern, wer hier das Sagen hatte und dass sein Wort Gesetz war. Er inszenierte immer eine Aufführung für jemanden, selbst dann, wenn sonst niemand zugegen war. Psychospielchen mit Devin glichen einem Spiel mit Dynamit: Am Ende wurde immer jemand verletzt. Ich hoffte inständig, dass es in diesem Fall nicht ich sein würde.
    »Braves Mädchen«, sagte er. Sie erstrahlte geradezu unter dem Lob. Ich glaube, alle Kinder sehnen sich nach einem freundlichen Wort, nicht nur die hoffnungslosen Fälle, die es an einen Ort wie diesen hier verschlägt. Alle reagieren auf dieselbe Weise, wenn sie die Bestätigung erhalten, die sie brauchen. Sie verknüpfen Angst und Liebe so eng miteinander, dass sie den Augenblick nicht bemerken, in dem sie erwachsen werden.
    Die apfelgrünen Augen geweitet, wandte sich Dare mir zu und sagte: »Ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Wagen, Ms. Daye. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« Manuel beobachtete mich hinter ihr. Es war schwierig, beiden Augenpaaren gleichzeitig zu begegnen; die Farbe war zu grell, und es sprach zu viel Bedürftigkeit aus ihnen.
    »Ja«, erwiderte ich schließlich und gab dem unausgesprochenen Flehen in Manuels Augen nach. »Ich folge dir.«
    Sie lächelt e – der erste ehrliche Ausdruck, den ich in ihrem Gesicht gesehen hatt e – und führte mich hinaus. Ich hörte noch, wie Devin einen leisen, fast erstickten Laut von sich gab, als die Tür hinter uns zuschwang. Aber

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