October Daye: Winterfluch (German Edition)
Diesmal stieß ich die Wärme nicht von mir, sondern klammerte mich daran und kämpfte zugleich gegen den Drang, einen weiteren Atemzug zu nehmen. Ich hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, aber ich wusste, dass ich nicht aus der Dunkelheit gelangen würde, wenn ich mich gegen Tybalt wehrte. Im Gegenteil, ich würde darin stranden.
Als mich gerade die Überzeugung beschlich, ich müsste sterben, wenn ich nicht sofort atmete, rührte sich Tybalt und stieß mich von sich in die grelle Helligkeit des Morgens. Ich stolperte und sank auf dem feuchten Asphalt der Gasse auf ein Knie, während ich die segensreich warme Luft gierig einsog. Sobald ich sicher war, nicht tot zu sein, hob ich den Kopf und starrte ihn an. Ich spürte, wie Eiskristalle in meinem Haar schmolzen.
»Was um alles in der Wel t … «
»Du kannst reden«, fiel er mir ins Wort, wobei seine Miene eine völlige Ruhe ausstrahlte. »Deine Trugbanne sind unversehrt. Du bist weder in Panik, noch hast du Schmerzen. Kannst du wirklich behaupten, dass dies schlimmer war, als den Sonnenaufgang durchzustehen?«
Ich zögerte und sah mich um. Die Sonne stand am Himmel. In der Luft schmeckte ich die Asche der Magie der vergangenen Nach t … und Tybalt hatte vollkommen recht. Meine Magie, so gering sie auch sein mochte, war noch vollständig intakt. Ich war zwar durchgefroren, dennoch war diese Erfahrung auf eine sonderbare, fremdartige Weise einfacher gewesen, als es der Sonnenaufgang geworden wäre. Vorsichtig richtete ich mich auf, erprobte, ob ich das Gleichgewicht halten konnte, und beobachtete ihn dabei.
»Du hättest mich fragen können.«
»Und was hättest du geantwortet?« Ich zögerte, woraufhin er zufrieden lächelte. »Siehst du? Du würdest halb weggetreten nach Luft schnappen, und ich würde einerseits immer noch nicht wissen, weshalb du hergekommen bist, und hätte andererseits deinen unbezahlbaren Gesichtsausdruck verpasst, als ich dich in die Schatten zog. So. Da ich dir den Sonnenaufgang erspart habe, kannst du dich mit einer Antwort auf meine Frage erkenntlich zeigen. Warum bist du hier?«
Es gab keine Möglichkeit zu beschönigen, was gesagt werden musste, also versuchte ich es erst gar nicht. »Evening Winterrose ist tot.« Tybalt zuckte zusammen, seine Augen weiteten sich. Ich fuhr fort. »Du kennst Evening. Du weißt, was sie tun konnte. Sie hat die alten Formen verwendet, als sie starb, und sie hat mich gebunden. Sie hat eine so enge Kette um mich gewickelt, dass sie mich erwürgt, und du bist der Einzige, der mir helfen kann.«
Tybalts Augen blieben geweitet, als er die Stirn runzelte. »Ich? Warum ich?« Seine Miene wirkte betroffen. Er und Evening waren nie befreundet gewese n – den beiden hatte niemals auch nur genug aneinander gelegen, um sich als Feinde zu betrachte n – , aber sie hatten lange, lange Zeit in derselben Stadt gelebt. Manche Bande reichen tiefer als die der Freundschaft. Die Neuigkeit von ihrem Tod brachte ihn durcheinander.
»Weil ich immer noch in ihren Diensten stehe, und das bedeutet, ich muss weitermachen, selbst, wenn es mich umbringt. Ich brauche jemanden als Rückhalt, falls die Ding e … falls die Dinge sich nicht so gut entwickeln, wie ich es gerne hätte.«
Erneut zuckte er zusammen und wollte wissen: »Warum um alles in der Welt hat sie dich dafür ausgewählt? Du konntest doch nicht einmal eine lebendige Frau finden. Wie willst du jetzt eine Tote rächen?«
Ausnahmsweise verletzte mich die Erinnerung nicht. Ja, ich hatte versagt, aber das hieß nicht, dass ich auch erneut versagen würde. Nicht dieses Mal. »Bitte, Tybalt. Ich brauche dich.« In einer berechnenden Geste der Unterwerfung senkte ich den Kopf. Viele Reinblütler vertreten nach wie vor die Meinung, dass wir dies den »besseren« Vertretern der Faeriegesellschaft schuldig sind. Die Welt hat sich verändert, aber das ist ihnen einerlei; die Zeit findet wenig Neigung zur Lehnstreue. »Meine Fähigkeiten sind begrenzt.« Ich trug ziemlich dick auf. Ich glaubte nicht, dass er mir widersprechen würde.
»Was willst du also von mir?«, fragte er mit tonloser Stimme. Ich schaute auf und stellte fest, dass er angespannt und mit finsterer Miene vor mir stand. Ich hatte ihm ein gehöriges Maß an Kummer aufgetischt und bat ihn unmittelbar danach um Gefälligkeiten; wenn ich Glück hätte, würde er mich ausreden lassen, bevor er mich zerfetzte und für die Nachtschatten zurückließ.
»Ich möchte, dass du das hier bewachst.« Damit zog
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