October Daye: Winterfluch (German Edition)
könnte sie jahrhundertelang über dir schwingen. Ich könnte beschließen, dich nie daraus zu entlassen.« In seiner Stimme schwang ein eigenartig warnender Tonfall mit, als wollte er, dass ich es mir noch einmal überlege.
»Das ist mein Problem, oder?« Ich hob den Kopf etwas weiter an und begegnete seinem Blick.
Er blinzelte, offenbar überrascht über meine Kühnheit. Dann zuckte er mit den Achseln und sagte: »Na schön.« Damit griff er nach der Lade und versuchte, sie mir aus den Händen zu nehmen.
Ich hielt die Hoffnungslade jedoch fest. »Nein«, sagte ich scharf. »Versprich es zuerst.«
Finster starrte er mich an; ich erwiderte den Blick. »Du kennst die Regeln. Du willst, dass ich in deiner Schuld steh e – fein, ich tue es bereitwillig, aber gemäß den Regeln. Und jetzt versprich es.«
»Wenn du darauf bestehst«, erwiderte er und straffte die Schultern, bevor er einen Sprechgesang anstimmte: »Bei Wurzel und Zweig, bei Blatt und Ranke, auf Vogelbeere und Eiche, auf Esche und Dorn schwöre ich, dass was in meine Obhut übergeben wird, in meiner Obhut verbleibt und nur derjenigen ausgehändigt wird, der mein Versprechen gilt. Mein Blut zur Verteidigung der Aufgabe, die mir gestellt, mein Herz zur Wahrung des Versprechens, an das ich gebunden.« Die Luft verdichtete sich mit dem Geschmack von Poleiminze und Moschus, als seine Magie rings um uns knisterte und den Geschmack von Rosen verdrängte.
»Gebrochene Versprechen sind der Pfad zur Verdammnis«, sagte ich, und der Geruch von Kupfer und frisch geschnittenem Gras meiner Magie legte sich unter den Geschmack der seinen. »Gehaltene Versprechen sind der Sammelpunkt unserer unzähligen Pfade.«
»Und ein solcher Sammelpunkt wird mein Versprechen sein.« Die Magie rings um uns zerbarst, als die Förmlichkeiten endeten und er mir die Hoffnungslade abnahm. Diesmal ließ ich los. Meine Finger schmerzten vor Verlangen, als sie sich vom Holz lösten. Wie sehr begehrte ich die Lade? Ich wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen.
»Danke, Tybalt«, sagte ich und ließ die verpönten Worte nachhallen. Dank brachte eine Treuepflicht zum Ausdruck. Solange Tybalt die Lade verwahrte, schuldete er sie mir. Doch es war unfassbar rüde von mir, es auf diese Weise zu betonen. Ich war nicht sicher, warum ich es tat; vielleicht war ich einfach überfordert.
Mit düsterer Miene klemmte er sich die Lade unter den Arm, bevor er sich umdrehte und davonstapfte. Als sich die Schatten wie Vorhänge vor ihm teilten, schaute er noch einmal zurück und sagte: »Der Tag der Abrechnung wird kommen, October.« Damit trat er durch die Öffnung und verschwand.
Schaudernd schlang ich die Arme um mich und ging die Gasse entlang zu meinem Auto zurück. Ich hatte keine Zeit zu vergeuden; ich musste nach Schattenhügel, und ich war erschöpft. Ich musste ein wenig schlafen. Evenings Fluch beeinträchtigte mich noch nicht, aber letztlich würde das geschehen, und wenn es so weit wäre, würde es keine Rolle mehr spielen, wie müde ich war. Irgendwie war Zeit ein äußerst begrenztes Gut geworden.
Neben meinem Wagen blieb ich stehen und blickte in die Dunkelheit der Gasse zurück. »Ja, Tybalt«, sprach ich in die Luft. »Ich weiß.«
Kapitel 11
E s war fast sieben Uhr, als ich in meine Wohnung taumelte, über den Saum meines fleckigen Seidenkleids stolperte und neugierige Blicke von den Katzen erntete, die nicht daran gewöhnt waren, dass ich beim Heimkommen nach Rauch und Meer roch. Der Himmel vor dem Fenster ging langsam von rosigem Gold in ein klares, kristallines Blau über, als die Sonne ihren Aufstieg über die Gebäude abschloss. Das muss man San Francisco lassen: Es leben zwar zu viele Menschen in der Stadt, die Mietpreise sind höllisch, und die Politik ist noch schlimmer, aber wir haben wunderschöne Morgen. Diesen Aspekt hatte ich im Koiteich und bei allem, was danach geschah, irgendwie vergessen.
Ich schloss die Tür, lehnte mich gegen die Wand und ließ die menschliche Tarnung vergehen, begleitet von einem leichten Kupfergeschmack. Durch das Abstellen des Zaubers fühlte ich mich merkwürdig erfrischt und sauber, trotz der Dreckschichten, die ich mir während der Nacht zugezogen hatte. Die Katzen schlängelten sich um meine Knöchel und beschwerten sich. Halb benommen dachte ich noch daran, Futter in ihre Schale zu füllen, bevor ich mit dem Gesicht voraus aufs Bett fiel und in meinen Träumen versank. Ich war sogar zu müde, um die Vorhänge zuzuziehen.
Zum
Weitere Kostenlose Bücher