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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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existieren sollten.
    In der Bürokiste fand ich Mülltüten aus Plastik. Ich griff mir eine und wickelte sie um meine Hände, bevor ich die Hoffnungslade wieder aufhob und mit dem Rest der Tüte umhüllte. Es half nichts. Ich konnte sie immer noch fühlen. Etwas so Mächtiges hatte ich nicht mehr gesehen, seit ich die Sommerlande verlassen hatte, und ehrlich gesagt, ich hatte auch nie den Wunsch danach verspürt. Eine derart starke Magie beschwört doch nur Ärger herauf. Ich wollte sie weit entfernt von mir wissen, und zwar so schnell wie möglich.
    Ich klemmte mir die Tüte unter den Arm und trat den Weg zurück zum Fahrstuhl an. Die Zeit wurde knapp; bis zum Sonnenaufgang blieb vielleicht noch eine halbe Stunde. Ich fühlte mich entsetzlich ungeschützt, als könne jeden Augenblick jemand aus den Schatten hervorspringen und mich des Diebstahls bezichtigen. Was aber niemand tat. Ich schaffte es zurück zu meinem Auto, stieg ein und legte das schwarze Plastikbündel der Mülltüte samt Hoffnungslade in den Fußraum der Beifahrerseite. Eingewickelt und beiseitegelegt, wirkte sie so klein. Jedenfalls sah sie nicht wie etwas aus, wofür es sich lohnte zu töten. Leider dachte aber jemand, dass dem sehr wohl so sei, und das bedeutete: Ich musste sie schnellstens verstecken.
    Aber wo? Es musste ein Ort sein, an dem niemand danach suchen würde. Meine Wohnung stand ganz oben auf der Liste der Plätze, die man zweifellos als Erstes durchsuchen würde. Das Heim und der Hof der Königin folgten dicht dahinter. Ich war nicht gerade feinsinnig vorgegangen. Und es würde nicht einmal reichen, ein Versteck zu finden; nichts ist wirklich sicher, wenn niemand da ist, der es bewacht. So oder so würde ich jemandem vertrauen müssen, und wenn es darum geht, jemanden zu finden, dem man etwas anvertrauen kann, von dem niemand wissen darf, dass es existiert, wendet man sich immer an diejenigen, die man hasst.

Kapitel 10
    T ybalt? Tybalt, ich bin’s, Toby. Bist du hier?« Vorsichtig trat ich in die Gasse und hob meinen Rock mit einer Hand vom Boden an. Die in Plastik gewickelte Hoffnungslade befand sich unter meinem anderen Arm. Sie fühlte sich sichtbarer an, als sie war, und ich warf immerzu Blicke hinter mich, weil ich erwartete, dass jemand aus der Dunkelheit springen und mich angreifen würde. Bisher hatte es aber noch niemand getan. Allerdings vertraute ich nicht darauf, dass mir das Glück hold bliebe. »Komm schon, Tybalt. Wir haben nicht viel Zeit. Die Sonne geht auf, und ich muss heute Nacht noch arbeiten.«
    Oberon allein wusste, was ich jetzt unternehmen sollte. Meine Nerven lagen blank. Den Großteil der Fahrt zu der Gasse, in der ich Tybalt vor Kurzem begegnet war, hatte ich mit dem Versuch verbracht, mir einzureden, dass der Gegenstand vor meinem Beifahrersitz keine große Sache war. Das hatte in etwa so gut funktioniert wie damal s – als ich neun wa r – der Versuch, mich selbst davon zu überzeugen, dass ich durch Wände gehen konnte. Zumindest bekam ich diesmal äußerlich weniger blaue Flecken ab.
    Vielleicht noch wichtiger war, dass ich mich nicht belügen konnte , was die Hoffnungslade betraf. Meine Finger kribbelten immer noch von der Berührung mit ihr, und meine Kopfschmerzen waren verschwunden. Woher sie auch stammte, sie war echt. Deshalb musste sie unbedingt aus Wechselbalg-Händen weg. Tybalt ist weder die netteste Person, die ich kenne, noch der netteste Cait Sidhe, aber er ist ein Reinblut. Ihn würde die Sehnsucht nach der Lade nicht ergreifen – und ganz gleich, was für ein Mistkerl er ist, seine Versprechen hält er. Ehrlichkeit gilt unter den Fae nicht als Tugend, doch wenn ein Reinblut ein Versprechen abgibt, dann wird es eingehalten. Ich brauchte ihn eigentlich nur zum Schwören zu bringen.
    Was aber keine Rolle spielen würde, wenn ich ihn gar nicht finden konnte. »Warum bist du immer da, wenn ich dich nicht gebrauchen kann?«, brummte ich und bewegte mich auf den hinteren Abschnitt der Gasse zu. Er hatte mich den Großteil meines erwachsenen Lebens heimgesucht. Ich war nie sicher, ob er mich hasste, weil ich ein Wechselbalg war, oder wegen etwas Persönlicherem, und es war mir auch egal. Hass blieb Hass, und der unsere beruhte auf Gegenseitigkeit.
    Der Sonnenaufgang war nah, aber noch präsentierte sich der Himmel dunkel, und der Nebel hatte sich so sehr verdichtet, dass meine Sicht praktisch gegen null ging. Ich hatte den Schlüssel in der Hoffnung zu schwenken versucht, er würde wieder

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