October Daye: Winterfluch (German Edition)
ersten Mal seit Wochen träumte ich nicht vom Teich. Ich weiß nicht, wovon ich stattdessen geträumt habe, doch was immer es war, es blieb nicht lange genug haften, um mich daran zu erinnern. Ich erwachte steif, voller Schmerzen und noch in dem blauen Seidenkleid, das früher meine zweitliebste Jeans gewesen war. Ich setzte mich auf, drückte mir eine Hand gegen die Schläfe und tat gar nichts. Die Kopfschmerzen, die ich erwartete, waren nicht vorhanden, und es dauerte einen Augenblick, bis mir einfiel, weshalb. Ich hatte die Hoffnungslade berührt. Ich hatte sie berührt, und meine Kopfschmerzen waren verflogen. Hatte sie mich bei jenem flüchtigen, zufälligen Kontakt verändert? Wurzel und Zweig, wie mächtig war dieses Ding?
Meine Erinnerung an die vergangene Nacht war zwar verworren, aber noch klar genug, um sie zu verstehen, angefangen bei Evenings letztem, panischem Anruf über meine Abweisung von der Königin der Nebel bis hin zur Entdeckung der Hoffnungslade und meinem Pakt mit Tybalt. Das größte Rätsel gab mir die Reaktion der Königin auf. Evenings Tod war ebenfalls rätselhaft und eine Tragödie. Aber dort gab es eine Antwort, die irgendwo auf mich wartete. Das verriet mir allein die Existenz der Hoffnungslade. Die Reaktion der Königin auf ihren Tod hingegen war eine andere Geschichte. Ich hätte Entsetzen, Kummer oder sogar Wut auf die Überbringerin der Nachricht verstanden. Was ich nicht nachvollziehen konnte, war ihre Panik angesichts der bloßen Vorstellung von Evenings Tod. Warum hatte sie sich so verhalten? Woher hatte Evening die Hoffnungslade überhaupt, und wer wusste, dass sie sich in ihrem Besitz befand? Zu vieles davon ergab keinen Sinn, und das gefiel mir ganz und gar nicht.
Beunruhigender als alles andere aber war das Fehlen von Kopfschmerzen. Am Vortag hatte ich mehr Magie gewirkt, als gut für mich war. An einem guten Tag bin ich in der Lage, meine Trugbanne ohne Aussetzer zu wahren und dennoch meine Schutzbanne neu einzustellen. Wie gesagt, an einem guten Tag. Fügt man dem noch mehrere kleine Irreführungszauber, Nebelklarsehen und ein Abenteuer in Blutmagie hinzu, müsste ich eigentlich eine Ausfahrt nach der für Schmerzen genommen haben und auf die für Höllenqualen zusteuern. Magisches Brennen schmerzt stärker als alles Physische, zumal es sich tief ins Innere bohrt, bis es Nerven entdeckt, von denen man nicht einmal wusste, dass sie existieren. Was genau hatte die Hoffnungslade getan, um mir all das zu ersparen?
Lacey sprang aufs Bett und kam herbei, um ihren Kopf an meinem Kinn zu reiben. Wenigstens ihr Tag begann gut. Natürlich hätten die Katzen selbst in einem nuklearen Winter eine schöne Zeit, solange jemand überlebt hätte, der sie fütterte. Ich kraulte sie hinter den Ohren und seufzte. Wenn die Katzen aufstehen konnten, dann konnte ich es auch.
Ich schob mir das Tier von der Brust und stemmte mich aus dem Bett. »Ich habe euch schon gefüttert, Lace, hör auf so zu tun, als hätte ich es nicht getan. Ich brauche eine Dusche, bevo r … «
Der Satz blieb mir im Halse stecken, als mir Phantom-Rosenzweige über das Gesicht und den Hals schlugen und mir ihre unsichtbaren Dornen tief in die Haut trieben. Zu überrascht, um einen Aufschrei zu unterdrücken, krümmte ich mich vornüber.
Sylvester hatte mich einmal davor gewarnt, wie schlimm ein Bindungsfluch schmerzen konnte, wenn man nicht tat, was er verlangte. Allerdings hatte ich bis jetzt nicht wirklich begriffen, was er damit meinte. Jeder Atemzug bereitete mir Qualen. Es fühlte sich an, als schälte sich meine Haut, während die Welt im erstickenden Geruch der Rosen versank. Ich hatte Mühe, nicht zu fallen, und würgte ob des Gestanks. Untätigkeit kam also nicht in Frage; die Messer von Evenings Befehl würden mich zerfleischen.
Ich kniff die Augen zu und sagte: »Ich weiß. Ich mache ja schon. Bitte, hör auf. Warte noch.« Das Brennen ließ nach, wenngleich ich immer noch Dornen spürte, die über meine Haut strichen. Das war schon in Ordnun g – Hauptsache, ich konnte wieder denken und mich bewegen. Mehr brauchte ich nicht.
Mich aus dem dreckigen Ballkleid zu befreien erwies sich als Herausforderung. Mich zum Duschen zu zwingen und mich anzuziehen gestaltete sich noch härter. Fortwährend stolperte ich und stützte mich an den Wänden ab, während ich mich daran zu erinnern versuchte, wie solche Dinge wie eine Hose funktionierten. Die Katzen scharwenzelten dabei ständig um meine Knöchel, doch ich
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