October Daye: Winterfluch (German Edition)
erhascht hatte, verriet mir so gut wie nichts darüber, wo ich mich im Augenblick aufhielt, nur dass sich über mir ein Dach befand und jenes trübe Licht nicht natürlich war. Ich befand mich in einen Raum; wo genau, das wusste ich nicht. Es spielte auch keine Rolle, da ich mich ohnehin zu schwach fühlte, um mich zu bewegen, und zu starke Schmerzen hatte, um mich für meine Umgebung zu interessieren. Hoffentlich sollte ich nicht jemandes Abendessen werden. Und wenn doch, so würde es wahrscheinlich wenigstens gegen meine Kopfschmerzen helfen.
Durch leichtes Experimentieren fand ich heraus, dass ich meine rechte Hand bewegen konnte. Der Boden unter mir fühlte sich weich, federnd, feucht und ein wenig warm an. Ich runzelte die Stirn und wurde unwillkürlich neugierig. Wo befand ich mich?
Schritte näherten sich mir von hinten. Umdrehen konnte ich mich jedoch nicht; es gelang mir nicht einmal, erneut die Augen zu öffnen. Ich konnte nur wie erstarrt liegen bleiben, als eine Hand meine Schläfen streichelte und eine sanfte Stimme flüsterte: »Sie ist noch nicht bereit für dich. Schlaf.«
Die wunderbare Dunkelheit schwappte wieder über mir zusammen.
Ich träumte von Glasrosen und dem Geschmack von Poleiminze.
Beim zweiten Mal erwachte ich schneller, wenn auch genauso widerwillig wie zuvor; die Rückkehr in meinen Körper bedeutete zugleich eine Rückkehr zu den Schmerzen. Und die hatten sich verschlimmert, während ich schlief. Sie strahlten von meinem Kopf und meiner Schulter aus, bis mir jeder Atemzug in der Brust stockte. Aber ich lebte. Als mich die Erkenntnis ereilte, schlug ich die Augen auf, zu verwundert, um mich weiterhin tot zu stellen. Ich lebte.
Ich blickte zu einer Decke aus geflochtenen Weidenzweigen empor, gestützt von einer Reihe von Bögen, die aus dem moosigen Boden gewachsen zu sein schienen. Pixies übersäten jede verfügbare Fläche, und ihr schimmerndes Licht erhellte den Raum. Das Moos unter mir war triefnass, was infolgedessen auch auf mich zutraf. Ich begriff, wo ich mich befand. In Lilys Mugel.
Der einzige Zugang zum Mugel, den ich kannte, bedingte, dass man die steilste Brücke im Garten erklomm. Ich war ziemlich sicher, dass ich das nicht getan hatte, bevor ich das Bewusstsein verlor. Mich überraschte sehr, dass ich den Teegarten überhaupt erreicht hatte. »Hallo?«, sagte ich. Meine Stimme kam als Flüstern. »Ist jemand hier?«
»Du bist wach.« Es war die Stimme, die ich zuvor gehört hatte, sanft, weiblich und leicht besorgt. »Bleib, wo du bist. Rühr dich nicht. Wir holen sie.«
»Alles klar«, gab ich zurück und schloss die Augen. Mich nicht zu rühren würde mir nicht schwerfallen. Ich bezweifelte, dass ich auch nur in der Lage wäre, mich herumzurollen, geschweige denn wegzulaufen. Ich hörte nicht, wie der Besitzer der Stimme ging, aber nach einer ungewissen Zei t – Minuten? Stunden? Ich hatte keine Ahnun g – näherten sich leise Schritte, begleitet vom Rascheln von Seide. Die Schritte hielten unmittelbar neben meinem Kopf an.
»Hallo, Lily«, sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. »Tut mir leid, dass ich so hereingeplatzt bin.«
»Du bist hier immer willkommen«, gab sie zurück. Ihre Stimme glich Wasser, das über Steine fließt, verwoben mit einem japanischen Akzent. »Selbst wenn du beschließt, nicht herzukommen, bist du willkommen.«
»Tut mir leid«, erwiderte ich, nach wie vor im Flüsterton. Ich war nicht sicher, ob ich lauter sprechen konnte, wenn ich gewollt hätte. »Ich bin ein wenig aufgemischt worden.«
»Ist mir aufgefallen. Jeder hat es bemerkt. Was hast du nur mit der armen Marcia gemacht?« Eine Hand berührte meine Schulter und tastete die Ränder der Wunde ab. Die Finger fühlten sich kühl an, und die Schmerzen wichen an den Stellen, wo sie mich berührten. »Sie war völlig aus dem Häuschen, und in der Registrierkasse waren Pilze.«
Zischend stieß ich den Atem aus und entspannte mich, als sich die ärgsten Schmerzen legten. »Ich hatte kein Geld dabei und musste hinein.«
»Törichter Wechselbalg«, schalt sie mich. »Kommst du nie auf die Idee, dass du auch einfach mal fragen könntest?«
»Ist nicht mein Stil«, sagte ich und brachte ein mattes Lächeln zustande.
Lily gab ein schnalzendes Geräusch von sich, als maßregle sie ein ungehöriges Kind, aber sie streichelte weiter meine Schulter. Ihre Finger zogen Spuren von Taubheit hinter sich her. Ich öffnete die Augen und legte den Kopf in den Nacken, um sie zu beobachten.
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