Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
zogen zwar nicht ihre Pistole, legten jedoch die Hand auf den Knauf, während sie durch den Mittelgang auf mich zugingen.
Ein weiterer Polizist trat aus der Sakristei in den Altarraum. Er war Ende vierzig, mindestens zehn Jahre älter als die beiden anderen Beamten. Sein früh ergrautes Haar war an den Seiten kurz geschoren und oben so flach wie eine Scheuerbürste.
Er strahlte eine Autorität aus, die nichts mit seiner Uniform zu tun hatte. Wenn man ihn in Unterhosen angetroffen hätte, so hätte man ihn dennoch respektvoll angesprochen und getan, was er sagte - oder man wäre bereit gewesen, für Ungehorsam einen hohen Preis zu zahlen.
Hinter dem Mann mit Bürstenhaarschnitt kam Reverend Charles Moran aus der Sakristei. Er erwiderte meinen Blick, ohne sich abzuwenden, aber seine Augen waren bei weitem nicht mehr so fröhlich wie vorher.
Ich fragte ihn, warum, und als er nicht antwortete, stellte ich die Frage noch einmal, doch der Reverend schien mich nicht zu hören und weigerte sich, mit mir zu sprechen, obwohl wir beide am Leben waren und nicht dem Schweigegebot folgen mussten, das den zögerlichen Toten auferlegt war.
25
Zu Hause in Pico Mundo war ich schon mehrfach in einem Streifenwagen mitgefahren. Obwohl es sich also nicht um das erste Mal handelte, war es doch irgendwie cool.
Die Polizeistation, zu der ein kleines Gefängnis gehörte, befand sich in einem klassizistischen Bau, der neben dem Gerichtsgebäude am Park stand, in einem der malerischsten Viertel der Stadt. Nun ragte er wie eine mittelalterliche Festung aus dem Nebel.
Der Tisch des wachhabenden Beamten, die Theke für den Publikumsverkehr und dergleichen mussten sich im Erdgeschoss an der Vorderseite befinden. Die beiden jüngeren Beamten parkten in einer Einfahrt hinter dem Gebäude und führten mich durch eine Nebentür.
In der Kirche hatten sie mich bereits nach Waffen durchsucht. Hier war nun zu erwarten, dass sie mir meine Armbanduhr und die Kette mit dem Silberglöckchen abnahmen und mich auf irgendeinem Wisch bestätigen ließen, sie hätten keinerlei Wertgegenstände konfisziert.
Ich erwartete außerdem, dass sie mir Fingerabdrücke abnahmen und mich fotografierten. Vielleicht erlaubten sie mir sogar, einen Anwalt anzurufen.
Stattdessen führten sie mich durch einen Flur mit einem deprimierenden, blau gesprenkelten Linoleumboden und
Wänden, deren Farbe an Nasenschleim erinnerte. Es ging durch eine Tür, eine Treppe hinab, durch einen anderen Flur mit einem andersartig gesprenkelten Betonboden und schließlich in einen öden, fensterlosen Raum, in dem es nach einem Desinfektionsmittel mit Pinienaroma roch, das stark genug war, um einen Asthmatiker umzubringen. Daneben war der feine Duft von Erbrochenem wahrzunehmen.
Der Raum war etwa dreieinhalb mal fünf Meter groß. Angesichts des Betonbodens, der Betonwände und der niedrigen Betondecke hätte selbst der begabteste Innenarchitekt Probleme gehabt, eine wohnliche Atmosphäre herbeizuzaubern.
In der Mitte stand ein quadratischer Metalltisch mit zwei Stühlen.
Einen dritten Stuhl hatte man in eine Ecke gestellt. Vielleicht musste ich da sitzen, wenn ich mich nicht anständig benahm.
Einer der Beamten rückte einen Stuhl für mich zurecht, was ein hoffnungsvoller Hinweis darauf zu sein schien, dass sie Respekt vor der Menschenwürde ihres Gefangenen hatten.
Dann kettete mich der andere Kerl jedoch mit dem rechten Knöchel an einen Ring, der an eines der Tischbeine geschmiedet war. Dabei behandelte er mich zwar nicht grob, machte aber doch einen verächtlichen Eindruck.
Ohne mir mitzuteilen, welches Verbrechens man mich verdächtigte, und auch ohne mir zu sagen, wie ich einen Imbiss bestellen konnte, wenn ich einen wollte, gingen die beiden hinaus, schlossen die Tür ab und ließen mich allein.
Beim Hereinkommen war mir aufgefallen, dass die Tür massiv genug war, um einen Bunker zu schützen. Sie schloss sich mit dem dumpfen Geräusch von einer halben Tonne Stahl.
Nun konnte ich nichts mehr tun, als über meine Schmerzschwelle und meine Sterblichkeit nachzudenken, was wahrscheinlich beabsichtigt war.
Der Tisch, an den man mich gekettet hatte, sah schwer, aber nicht unverrückbar aus. Wahrscheinlich hätte ich ihn in meinem fensterlosen Kerker herumschleppen können, aber da darin nichts zu sehen oder anzustellen war, blieb ich sitzen.
Als ich unter den Tisch schaute, bemerkte ich ein kleines Ablaufgitter. Da es in Magic Beach meines Wissens noch nie zu
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