Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
nichts Bleibendes kommt, sondern nur eine gelegentliche Show. Was kommt, ist kein Brot, sondern nur das Versprechen von Brot.
Eine Spezies, die vor der Wahrheit die Augen zu schlie ßen vermag und die so begeistert auf Wegen dahinrennt, die nirgendwo hinführen als in die Katastrophe, ist in ihrem Leichtsinn manchmal so amüsant wie die großen Komiker der Filmgeschichte. Buster Keaton, Laurel and Hardy und ihre Kollegen wussten: Ein Fuß, der in einem Eimer stecken geblieben ist, wirkt komisch, und wenn im Eimer ein Kopf steckt, dann ist das noch komischer. Am komischsten aber ist der Versuch, ein Klavier eine Treppe hinaufzubugsieren, die
dafür offenkundig zu steil und zu schmal ist, und genau das ist ein passendes Bild für das menschliche Verhalten.
Ich lache nicht über die Menschheit, sondern gemeinsam mit ihr, denn ich bin ein mindestens ebenso großer Narr wie jedermann. Zugegeben, ich präsentiere mich gern als Beschützer der Lebenden und der zögerlichen Toten, aber ich habe schon in mehr Eimern gesteckt, als mir prozentual gesehen zugestanden hätten.
Als ich seinerzeit neben dem Hund auf dem Boden hockte, an die Leichen im Badezimmer des Bungalows dachte und wieder einmal darüber nachgrübelte, was mein düsterer Traum zu bedeuten hatte, gelang es mir allerdings nicht einmal, die Spur eines Lächelns zustande zu bringen.
Womöglich wäre ich in tiefe Depression verfallen, hätte die Erfahrung mich nicht gelehrt gehabt, dass die nächste Fuß-im-Eimer-Szene nicht lange auf sich warten lassen würde.
Als der Hund nach einigen Minuten zu keuchen aufhörte, sagte ich ihm, er solle liegen bleiben, und machte mich auf die Suche nach Trinkwasser.
Ein Blick Richtung Eingang ließ erkennen, dass dort kein Weihwasserbecken angebracht war.
Hinter dem Altar hing eine große, abstrakte Skulptur, die man eventuell für ein sich in den Himmel schwingendes Flügelwesen halten konnte, aber nur, wenn man den Kopf nach links neigte, die Augen zusammenkniff und an Bibo aus der Sesamstraße dachte.
Ich öffnete das Tor in der Altarschranke und trat in den Chor.
Rechts stand ein einfaches Taufbecken aus Marmor. Es war trocken.
Überdies wurde mir nun klar, dass es despektierlich, wenn
nicht gar ein Sakrileg gewesen wäre, einen durstigen Hund mit Weihwasser zu tränken.
Ich ging auf eine Tür zu, die wahrscheinlich zur Sakristei führte. In der Kirche in Pico Mundo, in der Stormy Llewellyns Onkel als Priester amtierte, war dort eine Toilette mit Waschbecken eingebaut.
Als ich die Tür öffnete, überraschte ich einen gut fünfzigjährigen Mann, der gerade damit beschäftigt war, den Inhalt eines Kleiderschranks zu ordnen. Er war rundlich, aber nicht fett, gut frisiert, aber nicht auf affektierte Weise, und reaktionsschnell, aber nicht besonders gelenkig, denn als er bei meinem Anblick zusammenzuckte, trat er sich auf den eigenen Fuß und fiel auf sein Hinterteil.
Ich entschuldigte mich, weil ich ihm einen Schrecken eingejagt hatte, und er entschuldigte sich für seinen Kraftausdruck. Den hatte er jedoch wohl nur im Geiste verwendet, denn gesagt hatte er in seiner Verblüffung nichts als: »Huch!«
Nachdem ich ihm auf die Beine geholfen hatte, wobei ich fast selbst zu Fall gekommen wäre, erklärte ich, dass ich Wasser für meinen Hund bräuchte. Er wiederum stellte sich als Reverend Charles Moran vor. Seine Augen funkelten fröhlich, und als er meinte, sein Sturz sei nicht so schlimm gewesen wie der von Satan, wurde endgültig klar, dass ihn die Situation amüsierte. Das machte ihn mir sehr sympathisch.
Aus einem kleinen Kühlschrank holte er eine Flasche Wasser, aus dem Wandschrank eine flache Schale. Dann gingen wir gemeinsam zu dem Hund, der gehorsam vor der Altarschranke lag.
Statt darauf hinzuweisen, es sei nicht richtig, ein Tier in die Kirche mitzubringen, erkundigte er sich lediglich nach dem Namen des Hundes. Da ich den natürlich nicht kannte
und verständlicherweise nicht erklären wollte, wie wir uns gefunden hatten, behauptete ich einfach, er heiße Raphael.
Wieso ich ausgerechnet einen Namen wie Raphael statt Fido oder Bello gewählt hatte, war mir schleierhaft. Erst später wurde mir klar, wie ich darauf gekommen war.
Als der Reverend nach meinem Namen fragte, erwiderte ich, der laute Todd.
Eigentlich war das nicht einmal richtig gelogen. Meine Eltern behaupteten nämlich steif und fest, sie hätten mich Todd nennen wollen, aber leider sei die Geburtsurkunde falsch ausgestellt worden.
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