Oder sie stirbt
Prepaid-Guthaben, nur Inlandsgespräche. Ich zog es aus dem Regal und ging zur Kasse.
Bill schenkte mir sein breitestes Lächeln. »Wie geht’s Ariana?«
»Gut.« Ich betrachtete die altmodische Uhr über den gestapelten Kohlesäcken vor dem Eingang. Ich hatte in zweiter Reihe vor den Schiebetüren geparkt, und eine zierliche Blondine in einem Hummer hupte schon wie verrückt. »Gut, danke.«
»Brauchst du eine Tüte?«
Ich merkte, dass ich die anderen Kunden musterte, die billigen Überwachungskameras, die auf die Kassen gerichtet waren, und die geparkten Autos. »Was? Nein, nein, das geht so.«
Er zog das Einweghandy über den Scanner. Ich sah auf die Produkt- ID , die auf seinem kleinen Bildschirm erschien, und spähte unauffällig durch die automatischen Türen auf die Straße. Über der Zypresse der Millers konnte man unser graues Dach aufragen sehen. Dann schaute ich wieder auf die Produkt- ID , die in matrixgepunktetem Grün leuchtete. Dies war das nächstbeste Handy, das ich mir in direkter Nähe meines Hauses kaufen konnte – also auch das, dessen Erwerb am wahrscheinlichsten war. Und das, das sie am ehesten überwachen würden.
Weil sie an alles dachten.
Bill hatte irgendetwas gesagt.
»Wie bitte?«
Sein Lächeln büßte ein wenig von seiner Strahlkraft ein, als er wiederholte: »Ich hab gesagt, ihr seid bestimmt schon total aufgeregt, weil der Film bald anläuft.«
Die Blonde hupte erneut, und ich eilte zur Tür. Im Hinauslaufen rief ich Bill entschuldigend zu: »Ja, genau. Du, ich glaube, das Handy brauch ich doch nicht.«
Ich fuhr schnittig mit hohem Tempo vom übervollen Freeway 101 ab und weiter in nördliche Richtung auf dem Reseda Boulevard zur Universität. In der braunen Tasche auf meinem Beifahrersitz lagen vier Prepaidhandys, die ich mir an einer Tankstelle am Ventura Freeway besorgt hatte. Punchs Stimme – ausnahmsweise lallte er mal nicht – tönte gerade aus dem fünften. »Wenn du mir das nächste Mal einen Fantasienamen verpassen musst, dann bitte nicht Chad. Also echt …
Chad!
«
»Wie soll ich dich dann nennen?«
»Dimitri.«
»Natürlich.«
»Was soll dieses raffinierte Getue?«
»Ich werde beobachtet, und zwar richtig krass.«
»Wie krass?«
»So richtig Kalter-Krieg-mäßig.«
Schweigen.
»Dann sollten wir uns lieber persönlich unterhalten«, schlug er vor.
»Es kann sein, dass du in meiner Nähe nicht sicher bist.«
»Das wird mir auch langsam klar. Aber ich bin ein großer Junge. Könntest du jetzt gleich vorbeikommen?«
»Ich bin schon ziemlich spät dran für meinen Vormittagsunterricht.« Ich wich einem Jungen in einem BMW aus, der mir gleich zwei Stinkefinger zeigte. Wahrscheinlich einer meiner Studenten. »Mal sehen, ob ich früher in die Mittagspause kann. Wäre es wohl irgendwie drin, dass du es auf diese Seite der Stadt schaffst?«
»Sicher. Lass mich mein letztes Restchen Leben noch in diesem grausamen Verkehr riskieren, nur damit ich dir aus der Scheiße helfen kann.«
»Okay, hast recht. Wo soll ich hinkommen?«
»Weißt du was, ich fahr für dich nach Santa Monica. Meine altruistische Tat des Jahres. Im Parkhaus am Ende der Promenade, dritte Ebene. Um zwei Uhr. Ich könnte jetzt noch sagen, komm allein, aber das ist dir wahrscheinlich sowieso klar. Pass auf, dass dir niemand folgt. Und ruf mich nicht mehr von dem Telefon aus an, das du gerade benutzt.«
»Warst nicht du derjenige, der mir empfohlen hat, mir keine Sorgen zu machen? Und mir die Story vom Specht ohne Schnabel erzählt hat?«
»Das war vorher.«
»Danke für deine beruhigenden Worte.«
Aber er hatte bereits aufgelegt.
Die Studenten – diejenigen, die auf mich gewartet hatten – waren unruhig, und das zu Recht. Als ich mit einer halben Stunde Verspätung ins Zimmer platzte, war ich nicht nur zerstreut und erschöpft, sondern auch komplett unvorbereitet. Paeng Bugayong saß in der letzten Reihe. Er hatte die Arme auf die kleine Tischplatte gelegt und den Kopf darauf gebettet. Alles, was ich von ihm sehen konnte, war ein schmaler Streifen von seinem Gesicht und ein Büschel schwarzer Ponysträhnen, die ihm fast bis zu den Augen reichten. Ein schüchterner, harmloser Junge. Ich kam mir dämlich vor – und hatte fast ein bisschen Schuldgefühle, dass ich jemanden wie ihn verdächtigt hatte. Als ich die Studenten in die Mittagspause entließ, waren sie sichtlich erleichtert.
Auf dem überfüllten Flur tauchte Julianne neben meinem Ellbogen auf. »Gehst du nicht
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