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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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Vielleicht hörst du mich noch, Liebling, aber ich dich nicht mehr … Hallo …?« Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Solltest du mich noch hören, geh ins Bett, Schätzchen … Ich mach mal Schluss …« Er drückte die Verbindung weg und steckte das Handy wieder ein. Dann kam er auf mich zu und gab mir einen Knuff in den Magen. »Der Wodka aus der Tiefkühltruhe«, fragte er, »war der schon alle?«
     
    Und schließlich kam doch noch der Augenblick, in dem alle ihre Jacken nahmen und aufbrachen. An der Tür gab Richard H. meiner Frau drei Küsse auf die Wangen und drückte sie einmal fest an sich. Max und Galja küssten sich auf den Mund. Hugo Landgraaf und Peter Bruggink dankten Christine für den »unvergesslichen Abend«. Mein Schwager stand im Flur und wartete, bis seine Frau aus dem Klo kam.
    »Ciao«, sagte Max. Er legte mir den Arm um den Hals, zog mich an sich und küsste mich auf die Stirn.
    »So«, sagte ich. Ich lächelte. Ich hätte gern noch etwas gesagt, aber mir fiel nichts Gescheites ein.
    Max küsste meine Frau. »Vielen Dank, lieber Schatz«, sagte er. »Du hast doch dein Handy nicht vergessen, Max?«, fragte ich. Es war mir einfach so herausgerutscht; die Worte hingen ein paar Sekunden lang schwerelos im Flur, als wüssten sie auch nicht so recht, was sie da zu suchen hatten.Dann klopfte Max auf seine Brusttasche und zwinkerte mir zum zweiten Mal an diesem Abend zu.
    Dies wäre die Gelegenheit gewesen, mir seine Handynummer zu geben – aber er tat es nicht.
    Wir waren schon fast unten. Christine war nicht mitgegangen. Max, Richard H. und Galja traten in die warme Sommernacht hinaus. Max reckte sich und atmete tief die frische Luft ein. Richard H. zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und drückte auf einen Knopf, woraufhin die Scheinwerfer und Rücklichter eines am Bordstein geparkten silbergrauen Mercedes Cabrio aufleuchteten. Ein Klicken, und die Schlösser sprangen auf. Ein erneuter Knopfdruck, und das schwarze Verdeck schob sich nach hinten.
    »Ich fände es nett … Ich meine, wenn du es auch nett findest, können wir uns vielleicht noch mal …« Ein rascher Blick auf Max bestätigte meinen Verdacht, dass er mir gar nicht zuhörte. Seine rechte Hand befand sich irgendwo unter Galjas nabelfreier Bluse.
    Beim Auto angekommen, setzte er sich eine Sonnenbrille auf und blickte zum wolkenlosen Nachthimmel hinauf. »Eine Nacht ohne Sterne«, sagte er. »Das erlebt man in der Stadt leider nur allzu häufig.«
    Er öffnete die Wagentür, wartete, bis Galja sich auf den Rücksitz gesetzt hatte, und ließ sich dann auf den Beifahrersitz fallen. »Ich bin am Wochenende manchmal im Timbuktu«, sagte er. »Das ist ein Strandcafé in Wijk aan Zee.«
    Ich merkte, wie mein Puls schneller ging. Aber es schien mir nicht der richtige Moment, mich nach der genauen Lage des Timbuktu zu erkundigen; dafür war später immer noch Zeit.
    »Am Wochenende?«
    Richard H. hatte den Wagen gestartet. Er ließ den Motor aufheulen; ein nicht unangenehmes Beben wanderte über die Gehsteigplatten bis in meine Brust.

    »Meistens am Sonntagnachmittag«, sagte Max. »Dann trifft man dort die richtigen Leute.«
    Ich winkte dem silbergrauen Mercedes Cabrio nach, bis es mit quietschenden Reifen aus meinem Blickfeld verschwand. Das Letzte, was ich sah, war Max’ Kopf, der sich ruckartig mal nach vorn, mal nach hinten und mal seitwärts bewegte, als wäre er nur noch an ein paar Stellen mit dem Rumpf verbunden. Galja hatte ihren Schal abgenommen und winkte mir vom Rücksitz aus zu.
     
    Viel später in dieser Nacht saß ich immer noch auf dem Balkon. Ich hatte mir einen bequemen Sessel aus dem Wohnzimmer geholt, zusammen mit der Flasche Wodka und der Zigarettenschachtel.
    Ich blickte in den dunklen Garten und dachte daran, wie wenig ich Gartenarbeit mochte. In Gedanken rekonstruierte ich den Augenblick, als Frau de Bilde unten erschienen war und zu uns hinaufgerufen hatte, ob es nicht etwas leiser ginge und ob wir eigentlich wüssten, wie spät es sei; der Hund kam in der ganzen Szene nicht vor. Ich stand neben Max auf dem Balkon, und weil Max gar nichts sagte, sondern die alte Frau nur schweigend anstarrte, sagte ich auch nichts.
    Und dann sah ich noch die andere Szene vor mir, die sich kurz davor oder kurz danach abgespielt hatte, das weiß ich nicht mehr. Ich stand im Flur, und aus der Küche kam mir Erik Mencken entgegen; in meiner Erinnerung hatte er ein Glas in der Hand, aber ganz sicher bin ich mir nicht.

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