Odessa Star: Roman (German Edition)
Steuerhauses der Odessa Star sah ich undeutlich einen in weißen Stoff gehüllten Arm winken.
»Ja, ich sehe dich«, sagte Richard H. »Zweites Fenster von links … das nächste Mal auf deine Rechnung, Ben … Und dann nehme ich den extra großen Hummer …! Ohne Salat. Ha, ha, ha … Okay, Junge, das war’s … Gute Fahrt!«Er klappte das Handy zu und schüttelte leise lachend den Kopf.
Ich wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Auf dem spiegelglatten Wasser entfernte sich die Odessa Star langsam. Hinter den Fenstern regte sich nichts mehr.
Ich sah zur Seite und fast gleichzeitig tat Richard H. dasselbe. Eine volle Sekunde starrten wir einander an. Dann schob sich Richard H. die Sonnenbrille auf die Stirn. »Bekanntes Gesicht«, sagte er.
9
Max, der wieder sein schwarzes Hemd trug, streckte mir nicht die Hand hin, als wir auf der Terrasse vor seinem Tisch standen. Er machte auch keine einladende Handbewegung zu einem der Stühle hin.
»Alles okay?«, fragte er.
»Ja«, sagten Richard H. und ich im Chor; die Frage galt natürlich nicht mir, merkte ich zu spät, ich blickte auf meine Laufschuhe.
»Ich hole mir ein Bier«, sagte Richard H. »Willst du auch noch was, Max?« Er zeigte auf das leere Glas, aus dem ein Stößel ragte, auf dem Boden lagen Reste von Eiswürfeln und eine jämmerliche Zitronenscheibe.
Fast unmerklich schüttelte Max den Kopf.
Richard H. stiefelte davon. An der einen Seite meines linken Schuhs klebte etwas, was wie Teer oder Öl aussah. Beim Eingang drehte Richard H. sich um. »Kann ich dir auch was bringen … eh …?«, rief er.
»Fred«, sagte ich. »Ein Bier, bitte. Ein Bier ist okay.«
Max nahm sein Handy aus der Brusttasche, starrte eine Weile auf das Display und steckte es wieder zurück.
»Das Arschloch an deinem Geburtstag«, sagte er.
Ich zog den Korbsessel vor mir ein wenig zu mir hin.
»Wie hieß der doch gleich, das Arschloch?«
Ich manövrierte mich vor den Sessel, ging in die Knie und stützte mich mit beiden Händen auf die Armlehnen. Max nahm ein Feuerzeug aus der Hosentasche, knipste die Flamme an und blies sie wieder aus.
»Der mit der scheinheiligen Visage«, sagte er. »Der immer so depressiv verständnisvoll aus der Wäsche guckt, wenn jemand über Krebs redet. Oder über Brandwunden und ektope Schwangerschaften.«
»Mencken«, sagte ich.
Max wiederholte das Spiel mit dem Feuerzeug. »Den meine ich. Erik Mencken. Das Arschloch.«
»Ja«, sagte ich.
Hinter Max setzten sich zwei Frauen in Surfanzügen an einen Tisch. Sie hatten sich Brötchen mit viel Salat und zwei Gläser Limonade mitgebracht.
»Ein Freund von dir?« Max schüttelte eine Zigarette aus der Packung und steckte sie sich zwischen die Lippen. Dann knipste er das Feuerzeug an.
»Nein, kein Freund«, lachte ich. »Er wohnt in der Nachbarschaft. Christine hatte ihn …«
»In der Nachbarschaft? Ich dachte, diese Art von Leuten wohnt im Gooi oder um die Cornelis Schuyt. Was verschlägt ein Arschloch wie ihn in eure Favela?«
Ich lachte wieder, ein bisschen zu laut, ein bisschen zu unnatürlich. Ich sah mich rasch um, ob Richard H. schon zurückkam.
»Ich erinnere mich noch, wie dieses Arschloch im Fernsehen wegen der Kinder beinahe zu flennen anfing«, sagte Max. »Die hatten irgendwas. Irgend so eine schleichende Krankheit, die waren alle im Rollstuhl gelandet. Das ist an sich schon zum Heulen, aber dieses Arschloch stand da mit seiner weinerlichen Heiligenfresse und spielte die Mutter Teresa aller Rollstuhlkinderchen. Das ist ein Don’t, finde ich. Mit so einer gesund geschminkten Prominentenvisagezwischen Rollstühlen und Beatmungsgeräten ein Häufchen Elend abgeben.«
Max sah mir zum ersten Mal direkt ins Gesicht. Ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, klemmte er sie sich zwischen die Finger. Rauch entwich unter hohem Druck aus seinen Mundwinkeln.
»Wenn man auch nur einen Funken Anstand in den Knochen hat, dann lässt man sich auf so was nicht ein«, sagte er. »Man geht einfach nicht auf Kosten des Elends anderer mit der eigenen Heiligkeit hausieren. Dann ist man ein Arschloch. Und schon gar nicht vor einem großen Publikum.«
Richard H. kam mit dem Bier zurück.
»Nicht gleich gucken«, sagte er zu Max. »Schräg hinter dir.«
Ich hob mein Glas, um anzustoßen, aber Richard H. achtete nicht darauf. Max beugte sich vor und drehte langsam den Kopf. »Mmm«, sagte er. »Ich weiß nicht …«
Eine der Frauen im Surfanzug schüttelte das Haar, es war lockig und
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