Odessa Star: Roman (German Edition)
und klopfte auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. »Der meldet sich, wenn was los ist«, sagte er. »Wir saßen in einem Restaurant in Ouderkerk. Aber wenn mein alter Schulfreund Fred Geburtstag hat, sind wir natürlich zur Stelle. Das Geschenk hast du bei mir noch gut. Ungelogen hundertprozentig.«
»Macht doch nichts«, sagte ich. »Was wollt ihr trinken? Es gibt auch Wodka.«
Bei diesem Wort leuchteten Galjas Augen auf wie die eines Haustiers, das die Kühlschranktür aufgehen hört.
Später standen wir auf dem Balkon und blickten in den Garten hinunter. Aus den Lautsprechern ballerte Californication von den Red Hot Chili Peppers. Richard H. tanzte mit meiner Frau. Irgendwo im Hintergrund stand eine Gruppe um Galja herum, zu der auf alle Fälle Peter Bruggink, Hugo Landgraaf und mein Schwager gehörten. Es wurde viel mit den Armen gewedelt, es wurde viel und laut gelacht. Galja trank ihren Wodka aus einem Wasserglas.
Zuerst hatte das Erscheinen von Richard H., dem Galja und Max G. folgten, ein leicht verkrampftes Schweigen unter den anwesenden Gästen ausgelöst. Zu sagen, die Neuankömmlinge fielen aus dem Rahmen, wäre ein Understatement. Abgesehen von Richard H.s Größe und Frisur hatte es vor allem mit den Kleidern zu tun. Die Mitglieder meines heutigen Freundeskreises gaben sich besondere Mühe, möglichst normal auszusehen – T-Shirts mit dem Aufdruck der Tourneedaten von Popgruppen, fantasielose Hemden, Jeans, Turnschuhe – während Max und Richard in ihren teuren, aber leger getragenen schwarzen Hemden und mit ihren an verchromten Armbändern befestigten multifunktionalen Taucher-oder Bergsteigeruhren keine Schwierigkeiten damit zu haben schienen, ihren offensichtlichen Wohlstand zur Schau zu stellen.
Vielleicht war diese Sichtbarkeit sogar überhaupt der springende Punkt: Während die Mitglieder meines heutigen Freundeskreises alles daransetzten, nicht zu zeigen, was sie in Wirklichkeit waren – mit Hemd und Krawatte ausgestattete Arbeitnehmer in Betrieben, die sie von einem Tag auf den anderen durch andere Arbeitnehmer in Hemd und Krawatte ersetzen konnten –, war es für Max G. und Richard H. kein Problem, sich einkommensabhängig zu kleiden, auch wenn sie wahrscheinlich keinen Wert darauf legten, über die Herkunft dieses Einkommens ausgefragt zu werden.
»Nette Gegend, in der du wohnst«, sagte Max; er drückte mit dem Stößel die Zitronenscheibe auf den Boden seines mit Campari gefüllten Glases. »Sehr charakteristisch mit diesen niedrigen Häusern. Echt was Eigenes.«
Er hatte sich eine Zigarette angesteckt und starrte über den halbdunklen, zu dieser nächtlichen Stunde nur vom Licht meiner Geburtstagsparty erhellten Garten.
Mit der Wohngegend verhielt es sich eigentlich genauso wie mit ihren Bewohnern. Watergraafsmeer war Amsterdam Zuid in Jeans. Von außen sahen die Häuser mehr oder weniger ähnlich aus, aber bei näherer Betrachtung war das Viertel das Auffangbecken für all die halben Versager, die es bis nach Amsterdam Zuid nicht geschafft hatten. Man konnte noch so lange über die Vorzüge von Watergraafsmeer schwadronieren – die breiten Bürgersteige, die Ruhe, die »interessante« gemischte Bevölkerung … die großen Gärten! – Zuid winkte am Horizont wie eine Fata Morgana, die sich in Luft auflöste, sobald man den Gedanken zuließ, dass man eigentlich breite Bürgersteige und Ruhe auf den Tod nicht leiden konnte, geschweige denn eine Multikulti-Bevölkerung.
Max kniff die Augen zusammen. »Die Gärten sind echt gigantisch«, sagte er. »Wer wohnt da unten?«
Ich fühlte einen müden Stich in der Herzgegend. Es warnicht das erste Mal, dass Besucher nach der Führung durchs Haus auf dem Balkon gestanden und geseufzt hatten, wie herrlich und ideal es doch wäre, wenn wir statt der Wohnung im ersten und zweiten Stock die im Parterre ergattert hätten. Genau genommen war ich zweifach gescheitert: Ich war in Watergraafsmeer hängen geblieben und hatte noch nicht einmal einen Garten.
»Eine alte Dame«, sagte ich und erklärte Max kurz, was es mit der Sache auf sich hatte, ohne fürs Erste den Kamelgeruch zu erwähnen.
Max lehnte sich weit über das Balkongeländer. Er schnupperte, und ich hielt den Atem an. Während des ganzen Abends war der Geruch präsent gewesen, aber da die Balkontüren offen standen, schien er von draußen zu kommen und nicht aus dem Haus selbst.
»Und stört sie der Krach nicht?«, fragte er.
Mit einem leichten Bedauern erinnerte ich
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