Odessa Star: Roman (German Edition)
gesetzt und trug jetzt eine Sonnenbrille.
»Ich würde es nett finden …«, sagte ich, aber in dem Moment klingelte Max’ Handy. Er warf einen Blick auf das Display, bevor er den Anruf annahm.
»Alles okay da?« Er wandte mir halb den Rücken zu und stützte sich mit einem Ellbogen auf den Kofferraum. Ich blieb stehen, dachte dann aber, dass Max vielleicht ungestört telefonieren wollte. In der Tat sah er mich an und legte die Hand auf die Muschel.
»Ciao«, sagte er augenzwinkernd.
Ich winkte Richard H. zu, aber in den Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelten sich nur die sich schnell drehenden Mühlenflügel.
Und dann streikte mein Auto.
Fluchend drehte ich den Zündschlüssel zum dritten Mal um, aber das Geräusch unter der Motorhaube hörte sich an, als würde ein Insekt im Todeskampf seine Beine aneinanderreiben. Ich fühlte einen brennenden Schmerz hinter den Augen und ließ den Kopf auf das Steuer sinken. Ich dachte an den Nachmittag vor knapp einem Jahr, als ich in dem Auto zum ersten Mal in die Pythagorasstraat einbog.
David war gerade aus der Schule gekommen. Ich erinnerte mich an den Blick, den er auf das am Straßenrand geparkte Auto warf. Er dachte gar nicht daran, es sich aus der Nähe anzusehen, sondern blieb in der Haustür stehen, die Hände in den Hosentaschen.
»Ein Opel«, sagte er eher gelassen als spöttisch, aber vielleicht schnitt mir gerade deshalb der Name mitten ins Herz.
»Was ist so schlimm an einem Opel?«, fragte ich, als wüsste ich nicht, was so schlimm an einem Opel war. Indem ich für die Automarke Partei ergriff, entfremdete ich mir meinen Sohn nur noch mehr.
»Vervoerd fährt einen.«
Ich runzelte die Stirn, als würde mir der Name nichts sagen. Es galt, Zeit zu gewinnen. Vervoerd war Davids Erdkundelehrer. Er trug schwarze Socken in braunen Sandalen, und seine Bücher und Papiere transportierte er in einer Leinentasche mit dem verwaschenen Aufdruck einer Friedensdemonstration anno dazumal. Statt bei seinem Leisten zu bleiben und seinen Schülern beizubringen, von welchem Land Ulan Bator die Hauptstadt ist oder was in der Gegend um den Mississippi angebaut wird, schwafelte er ständig von dem Unrecht in der Dritten Welt und der Wichtigkeit von Windenergie.
»Hitler hatte auch einen Opel«, sagte ich und folgte meinem Sohn durch den Flur. Es war eine bloße Mutmaßung, denn abgesehen davon, dass ich den Führer auf Fotos in einem schwarzen Volkswagen Käfer mit offenem Dach Paraden hatte abnehmen sehen, schien er mir mehr ein Mercedes-Typ.
David drehte sich um. Er blickte noch immer trübselig drein. »Genau«, sagte er. »Hatte der nicht ziemlich viel Dreck am Stecken? Zumindest haben wir das in der Schule gelernt.«
Und jetzt, auf dem Parkplatz beim Nordpier in Wijk aan Zee, verfluchte ich den Opel nach Strich und Faden.
Ich lehnte mich zurück. Im Rückspiegel tauchte ein silbergrauer Mercedes mit offenem Verdeck auf. Fast gleichzeitig hörte ich Max’ Stimme. »Wie lange sollen wir denn noch warten?«, rief er. »Oder läufst du lieber?«
Auf der Fahrt nach Amsterdam machte ich ein paar halbherzige Versuche, unsere gemeinsame Vergangenheit aufzuwärmen, aber Max gab mir mit brummenden Lauten zu verstehen, dass er sich zwar an die betreffenden Schüler und Lehrer erinnerte, sie ihn aber überhaupt nicht interessierten.
Auf dem Rücksitz des Mercedes hatte man nicht gerade viel Platz. Die Dünen schossen vorbei, und im Rückspiegel sah ich das Gesicht von Richard H., dem das Steuern des Mercedes offensichtlich großen Spaß machte. Kurz vor einer Rechtskurve lenkte er den Wagen möglichst weit nach links; die Hinterräder wirbelten Kies auf, wenn er nach der Kurve das Gaspedal durchdrückte.
Anfangs versuchte ich, das Gleichgewicht zu halten, indem ich mich mit einer Hand gegen die Seite stemmte, aber der Mercedes hatte hinten keine Türen und also auch keine Armlehnen oder andere Vorsprünge, an denen ich mich hätte festhalten können. Der Wagen schien sowieso nicht für die Beförderung von Personen auf dem Rücksitz entworfen zu sein, und bei jeder Kurve musste ich mich gewaltig anstrengen, um nicht von einer Seite auf die andere geschleudert zu werden.
Am Rand von Wijk aan Zee nahm Richard H. Gas weg, und ich wollte mich gerade vorbeugen und Max fragen, wie es Sylvia gehe, als dieser auf einen Knopf auf dem Armaturenbrett drückte. Eine Nummer, die mir irgendwie bekannt vorkam, knatterte aus den Lautsprechern in den Türen und aus noch
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