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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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nass, ein feiner Tropfenregen flog durch die Luft.
    »Na, ich schon«, sagte Richard H. »Man muss dahinterschauen können. Man muss so einen Anzug Schicht um Schicht abpellen, erst dann weiß man, woran man ist. Wenn es einem nicht gefällt, zieht man den Reißverschluss wieder zu.«
    Max grinste. Richard H. stand auf, mehr als einen Schritt brauchte er nicht bis zum Nachbartisch.
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte er.
    Die beiden Frauen musterten seine große Gestalt von Kopf bis Fuß. Die Frau mit dem nassen Lockenkopf hielt ihre Hand gegen das Sonnenlicht und lächelte. Richard H. beugte sich zur Seite, sodass sein Schatten auf ihr Gesicht fiel.
    »Gerne«, sagte sie.
    Richard H. zeigte auf die halb leeren Limonadengläser. »Mit oder ohne Sprudel?«

    Es passierte alles so schnell, dass hinterher nicht mehr festzustellen war, wo genau der Aufprall stattgefunden hatte; von einem Moment zum anderen war überall Blut: auf unserem Tisch, auf dem Gesicht der Frau mit dem nassen Haar, auf Max’ linker Wange, auf meinen Händen, auf meinem T-Shirt … auch meine Laufschuhe hatten etwas abbekommen. Menschen sprangen auf und warfen ihre Stühle um, Teller mit Pommes frites und Kroketten und Salat und Gläser fielen zu Boden. Entsetzensschreie hallten über die Terrasse; eine Frau fing an zu kreischen und hörte nicht mehr auf.
    Das größte Stück der Möwe war nicht auf unserem Tisch gelandet, sondern ein paar Tische weiter; wir hatten den hinteren Teil mit einem Bein. Ich erinnere mich vor allem, dass mein Glas Bier noch aufrecht dastand – ansonsten hätte ich schwören können, dass sich das Möwenbein bewegte, aber vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich die Geschichte schon öfter erzählt habe.
    Die Frau mit dem Lockenkopf fasste sich ans Gesicht und schaute dann ungläubig auf ihre blutbefleckten Finger. Leute warfen die Arme in die Luft oder schlugen die Hände vor den Mund und starrten auf die Körperteile der Möwe. Andere zeigten zum wolkenlosen Himmel und vor allem zu den sich drehenden Mühlenflügeln.
    »Tja«, sagte einer, »die wusste nicht, wie ihr geschah.«
    Ein Kellner hob den Möwenkopf auf, wickelte ihn in eine Serviette und trug ihn davon.
    »Vor zwei Wochen hat es schon mal eine erwischt«, sagte ein Mann in ärmellosem T-Shirt mit dem Aufdruck einer bekannten Sportschule. »Aber das war nicht so ’ne riesige wie die da.«
    Ich spähte mit zusammengekniffenen Augen zur Mühle, konnte aber beim besten Willen nicht die Stelle der Kollision ausmachen, Blutspuren waren nicht zu sehen, allerdings drehten sich die Flügel auch zu schnell.
     
    Inzwischen galt das Hauptinteresse der Leute auf der Terrasse schon längst nicht mehr der tödlich verunglückten Möwe, sondern Richard H.
    Er stand noch immer an derselben Stelle vor dem Tisch der beiden Frauen, das heißt, er war in die Hocke gegangen, sein Kopf befand sich fast auf der Höhe der Tischplatte. Er hatte die Haltung eines Mannes angenommen, der nach einem Granateneinschlag Deckung sucht, der sich jedenfalls bewusst ist, dass die Gefahr immer aus unerwarteter Richtung kommt. Die Arme hielt Richard H. nach vorne gestreckt. Im grellen Sonnenlicht glänzte die Pistole in seinen Händen silbrig.

10
    Auf dem Parkplatz brach Max in Gelächter aus. Er lachte so laut, dass Leute stehen blieben und sich nach uns umsahen.
    »Mensch!«, gluckste er und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du hättest dein Gesicht sehen sollen! Als könntest du nicht kacken … Mit oder ohne Sprudel …?«
    Es folgte ein erneuter Lachanfall. Richard H. starrte mürrisch vor sich hin, die Hände in den Hosentaschen. Die dunkelrote Farbe, die ihm auf der Terrasse des Timbuktu ins Gesicht geschossen war, wich nur langsam.
    Max ging in die Hocke und streckte die Arme aus, den Finger am imaginären Abzug.
    » Freeze! Don’t fucking move or I’ll blow your fucking brains out! Ja, das war eins a, aber der Kameramann möchte das Ganze noch mal. Die Limonade war nicht im Bild.«
    Wir standen beim silbergrauen Mercedes. Richard H. klickte die Türen auf. Er grinste jetzt auch ein bisschen, wenn auch zähneknirschend.
    »Wo stehst du?«, fragte Max. Er ließ den Blick auf meine blutbefleckten Sportschuhe fallen. »Oder bist du zu Fuß?«
    Ich zeigte zu meinem Auto, das ich zwei Plätze weiter geparkt hatte.
    »Ah«, sagte Max. Er atmete tief aus und wischte sich noch einmal mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.Richard H. hatte sich ans Steuer

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