Odessa Star: Roman (German Edition)
schwereren in der Hutablage. Erst beim Refrain fiel es mir ein. » Clowns to the left of me jokers to the right here I am / stuck in the middle with you«, sang eine Stimme, aber der Name des Songs oder der Band wollten mir nicht gleich einfallen. Stattdessen die berüchtigte Szene in Reservoir Dogs, in der Michael Madsen (Mr. Blonde) das Radio einschaltet und dann im Takt dieses Songs einem auf einen Stuhl gefesselten Polizisten ein Ohr abschneidet.
»Stealers Wheel«, antwortete Max, als ich ihn fragte, von wem der Song sei und ob er wirklich in Reservoir Dogs vorkomme. Danach blieb es eine Weile still, und ich erwartete eigentlich schon nicht mehr, dass Max noch etwas sagen würde, als er auf einmal zu kichern anfing.
Er nahm eine neue Packung Marlboro aus der Brusttasche seines Hemds und riss die Folie ab. »In dem Film war ich zum ersten Mal mit Sylvia. Sie traute sich nicht hinzugucken, als der Kerl sein Tänzchen mit dem aufgeklappten Rasiermesser aufführte. Sie kniff die Augen fest zusammen. Bevor das Ohr abgeschnitten wird, meine ich. Dabei sieht man das gar nicht. Das ist das Komische, dass Leute oft schwören, sie hätten etwas gesehen, obwohl sie dann, wenn es echt spannend wird, die Augen zuhaben. In dem Film sieht man den, wie heißt er … Mr. Blonde, wie er sich am Ohr zu schaffen macht, aber das passiert außerhalb des Bildes. Man sieht nur das Ergebnis, wenn er in das abgeschnittene Ohr bläst und Do you hear me? sagt. Aber die arme Syl ist bis heute steif und fest davon überzeugt, dass man tatsächlich sieht, wie er mit dem Rasiermesser an dem Ohr herumschnippelt.«
»Hoppla!«, sagte Richard H., als er mit zu hoher Geschwindigkeit über eine Bodenschwelle bretterte. Ein Ehepaar mit Kindern im Handwagen schaute dem Mercedes nach. Wie ich sah, hatte auch Max seine Sonnenbrille aufgesetzt, und ich verfluchte mich, dass ich meine zu Hause gelassen hatte. Als Max mir, ohne sich umzusehen, die Zigarettenpackung hinhielt, zögerte ich keinen Moment. Ich nahm einen tiefen Zug, legte meinen Arm auf die Hutablage und trommelte mit den Fingern den Rhythmus von »Stuck in the Middle with You«.
Bei der Auffahrt zum Velsertunnel wurden wir von zwei Jungen in einem grellroten Golf geschnitten, die den Mercedes daran hinderten, sich einzufädeln. Richard H. fluchte laut; einmal im Tunnel überholte er rechts einen Kleintransporter und einen blauen Volvo-Kombi und wechselte dann abrupt auf die linke Fahrbahn. Hinter uns wurde empört gehupt. Der Fahrer des Volvos betätigte die Lichthupe.
»Fuck off!«, brummte Richard H., riss sich die Sonnenbrille ab und warf sie in hohem Bogen auf den Rücksitz. Noch bevor wir den südlichen Ausgang des Tunnels erreicht hatten, hingen wir dem roten Golf an der Stoßstange. Statt zu bremsen, gab Richard H. Gas.
Man hörte das Splittern von Glas und Plastik. Der Golf geriet ins Schleudern; für einen kurzen Moment schien es, als würde der Fahrer die Gewalt über das Steuer verlieren, aber dann lenkte er das Auto in einem halsbrecherischen Manöver auf die rechte Fahrbahn und schoss knapp vor einem Sattelschlepper auf die Ausfahrt Richtung Velsen.
Richard H. riss das Steuer herum. Der Mercedes folgte dem Golf mit quietschenden Reifen. Kurz vor der nächsten Ampel hatten wir ihn fast wieder eingeholt. Richard H. griff ins Handschuhfach; wir standen jetzt direkt neben dem Golf. Ich sah das vor Angst blasse Gesicht des Fahrers, der Deckung suchte, als Richard H. die Pistole auf ihn richtete.
Ich merkte, wie ein nervöses Kichern in mir aufstieg, von der gleichen Sorte, wie es sich bei einem Looping in der Achterbahn einstellt.
»Er ist gut, was?«, sagte Max. »Ist er gut oder nicht?«
Der Fahrer des Golfs gab Gas, obwohl die Ampel noch auf Rot stand. Er streifte einen grünen Nahverkehrsbus und fuhr dann mit hoher Geschwindigkeit Richtung Nordseekanal. Richard H. schaute jetzt nicht mehr so verbissen drein.
»Was für ein Loser! Man glaubt es nicht!« Er legte die Pistole in die geöffnete Hand, die Max ihm entgegenstreckte. Dann trat er aufs Gaspedal.
Kurz vor der Ausfahrt zu einem Seitenkanal sahen wir den roten Golf wieder. Here I am / stuck in the middle with you, sang Stealers Wheel. Richard H. trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Ich reichte ihm die Sonnenbrille, aber er schüttelte den Kopf. »Das Ding drückt an den Ohren«, sagte er. »Wenn sie dir passt, kannst du sie behalten.«
Ich setzte die Sonnenbrille auf und begutachtete mich im
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