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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch
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hatte meine Schwiegermutter die Hand meines Freundes mit beiden Händen umfasst. »Es gibt neuerdings eine Gemüse-und Kräuterdiät, die vollständige Genesung garantiert«, hörte ich sie sagen; es klang wie eine Fernsehreklame für schmerzlose Einäscherung in einem Sarg aus Kiefernholz.
    Weiter hinten im Garten, auf der kleinen Terrasse, die halb unter Farnen und überhängenden Zweigen eines Obstbaumes verschwand, saßen David und Nathalie an dem Alutisch aus der Küche. David trank Cola, vor Nathalie stand ein leeres Weinglas; nach kurzem Zögern holte ich mir eine angebrochene Flasche Weißwein vom Büfett.
    »Du hast aber einen Mordsdurst!«
    Auch ohne mich umzudrehen, erkannte ich die nicht von seiner echten zu unterscheidende Stimme; es war die gleiche, mit der er Kandidaten bis zum Überdruss fragte, ob sie sich »echt hundert Prozent sicher« seien, dass die einzig richtige Antwort Antwort B sei.
    In dieser Jahreszeit fiel es umso mehr ins Auge, wie unnatürlich braun Erik Mencken war. Vor ein paar Monaten wäre ein Skiurlaub noch eine ziemlich glaubwürdige Erklärung gewesen, jetzt aber erkannte man an der körnigen Haut um seine Augen, vor allem an der verdächtigen Bräunung der Krähenfüße, dass alles von der Sonnenbank oder direkt vom Selbstbräuner herrührte. Da ich schwieg, hielt mir der Moderator sein halb leeres Glas hin und nickte zur Weinflasche in meiner Hand.

    »Schöner Garten übrigens«, sagte er. »Ich habe gerade zu deiner Frau gesagt, auf solche Gärten können die Leute in Amsterdam Zuid direkt neidisch sein.«
    Ich widerstand der Versuchung, die Flasche an seinem Kinn zu zerschlagen, als wäre es ein Schiffsrumpf kurz vor dem Stapellauf, und schenkte ihm nach. Es wäre ein bisschen zu viel des Guten gewesen, so ein scheinbar unbegründeter Gewaltausbruch auf unserer Einweihungsparty – außerdem zu viel der Ehre für so eine hohle Nuss wie Erik Mencken. Aber die Vorstellung einer am Kinn des Moderators zerschellenden Weißweinflasche gefiel mir so überaus gut, dass ich sie noch ein paarmal – mit unbewegtem Gesicht – vor meinem inneren Auge vorbeiziehen ließ.
    »Ja«, sagte ich schließlich, weil ich immer noch nichts gesagt hatte; ich hätte auch etwas anderes sagen können, aber auch das wäre zu viel der Ehre gewesen.
    Mit einem abgebrochenen Flaschenhals könnte man natürlich Menckens Äußeres so drastisch verändern, dass die Einnahmen aus den Werbespots bei Wer wird Millionär? in den Keller gehen würden. Und nach einigen Wochen würden sich die Verantwortlichen leider genötigt sehen, sich von ihrem Quotenstar zu trennen.
    »Was ist?«, fragte Mencken.
    »Nichts. Was soll sein?«
    »Ich weiß nicht, du grinst so vor dich hin. Wenn ich wüsste, was so komisch ist, könnte ich vielleicht mitlachen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich musste einfach an etwas Lustiges denken«, sagte ich. »Nur so für mich. Schwer zu erklären.« Mit diesen Worten wandte ich ihm den Rücken zu und schlenderte zur Terrasse am anderen Ende des Gartens.
    Nathalie hatte ihr flachsartiges Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der fröhlich auf und ab wippte, als sie zu den Ausführungen meines Sohnes nickte. David verstummte, als er mich kommen sah.
     
    »Verstehst du?«, hörte ich noch, und Nathalies Pferdeschwanz wippte ein letztes Mal. Mit einem fragenden Lächeln hielt ich die Flasche schräg über ihr leeres Glas.
    »Ja, gerne …«, sagte sie und hielt mir das Glas hin. Da kein Stuhl mehr da war, blieb ich mit der Flasche in der Hand neben dem Tisch stehen; ich fühlte mich ein wenig wie ein Ober, der den Gast den Wein kosten lässt, denn weder David noch Nathalie luden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Halb unter Nathalies Stuhl lag Wuff und dämmerte hechelnd vor sich hin. Frau de Bildes Hund hatte die Freundin meines Sohnes besonders lieb gewonnen, und wenn sie uns besuchte, wich er selten von ihrer Seite.
    In diesem Moment schlug Nathalie so plötzlich die Augen zu mir auf, dass ich fast erschrak. »Was für ein herrlicher Wein, Fred«, sagte sie. Ich wartete auf eine Fortsetzung, aber die blieb aus. Beide würden es als aufdringlich empfinden, wenn ich hier noch länger herumstand; ich durfte jetzt nicht zerstören, was ich in den vergangenen Monaten mit so viel Mühe aufgebaut hatte: Schon allein die Tatsache, dass Nathalie mich seit fast einem halben Jahr nicht mehr mit »Herr Moorman« anredete, sondern immer »du« und »Fred« zu mir sagte, war nicht mit Gold

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