Odessa Star: Roman (German Edition)
Bauunternehmers, der seinem Opfer mitteilt, der Einbau der Dachgaube koste doppelt so viel wie eigentlich veranschlagt. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie der jetzt noch unbekannte Körper, der einmal von diesem Schussel bezogen werdenwürde, seinen Freunden und Verwandten erzählte, er habe sich in einem früheren Leben mit Heimwerken etwas dazuverdient und ansonsten seine Zeit mit Meditieren und dem Zusammensetzen von Puzzles aus mehr als tausend Teilen vergeudet.
»Du musst einen Container mieten«, sagte mein Schwager schließlich und atmete den Rauch seiner Selbstgedrehten durch die Nase aus.
Und als ich ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Einen von diesen Containern, wie man sie auf Schiffe stapelt, der kommt hier vor die Haustür, und da stellen wir alles rein, was im Weg ist.«
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Normalerweise sind dies die Stunden, in denen es sich im Garten abkühlen müsste, aber es bleibt warm. Ich überlege, ob ich die Küchentür aufmachen soll, als würde von drinnen kühlere Luft nach draußen strömen. In der Küche wirft die Leselampe einen gemütlichen Lichtkegel auf den kleinen Alutisch, an dem ich morgens gewöhnlich die Zeitung lese.
Ich liebe es, mein Haus aus einer gewissen Entfernung zu betrachten, als würde ich nicht darin wohnen. Ich könnte hineingehen, könnte es aber genauso gut auch lassen. Ich könnte noch etwas schlafen, damit ich morgen – nein heute, verbessere ich mich – ausgeruht zu der Beerdigung erscheine. Doch ich spiele lieber nur mit dem Gedanken, es gibt Gelegenheiten, bei denen man nicht ausgeruht zu sein braucht, und dazu gehören Beerdigungen.
Ich weiß nicht einmal, wie spät es ist, so zwischen halb drei und vier in der Frühe, schätze ich. Der Himmel verfärbt sich noch nicht, aber mehr noch als am Licht merkt man es an den Geräuschen, beziehungsweise an ihrer Abwesenheit: Kein Vogel singt, keine Katzen fetzen sich in den angrenzenden Gärten, und auf dem Rangierbahnhof stehen die Züge noch still.
Ich muss an die Einweihungsparty vor ein paar Monaten denken. Hinterher könnte man sagen, es wäre vielleicht besser gewesen, keine zu organisieren, ich meine: allein schon das Wort! Aber hinterher ist man immer klüger. Einweihungsparty … Einweihungsparty … man braucht es nur ein paarmal hintereinander auszusprechen, dann wird es ganz von selbst lächerlich, bis es schließlich gar nichts mehr bedeutet.
Es war einer der ersten warmen Frühlingstage, und die Party fand sowohl drinnen als auch draußen statt. Christine hatte einen Tisch mit Getränken und Häppchen in den Garten gestellt, und dort hielten sich die meisten Gäste auf. Peter Bruggink hing schlaff in einem der Terrassenstühle, die wir einige Wochen zuvor im Gartencenter gekauft hatten, und zeigte jedem, der es sehen wollte, die dreißig Zentimeter lange Narbe, die quer über seinen Bauchnabel verlief; sein Gesicht hatte die Farbe von Recyclingpapier, und er hatte mindestens zwanzig Kilo abgenommen. In den Monaten des Umbaus der Parterrewohnung hatte ich nur wenig Zeit gehabt, ihn im Krankenhaus zu besuchen. Nur zweimal. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich habe ein Problem mit Krankenhäusern. Mir bricht schon der kalte Schweiß aus, wenn ich die Eingangshalle betrete und durch die Gänge mit den Schildern wie Onkologie und Kardiologie laufe. Die aus dem Griechischen oder Lateinischen entlehnten Namen wirken viel bedrohlicher, als wenn einfach Krebs oder Herzinfarkte da stünde. Das habe ich Peter auch bei einem meiner beiden Besuche zu erklären versucht, doch er hatte die Operation damals gerade erst hinter sich und lag an einer ganzen Reihe von Schläuchen und Monitoren, und ich hatte nicht den Eindruck, dass er mir wirklich zuhörte.
Jetzt wurde er von meinen beiden Schwiegereltern belagert, die sich besorgt nach dem Verlauf seiner Krankheit und den Aussichten auf vollständige Genesung erkundigten. An der Hand meines Schwiegervaters baumelte seine Videokamera; gleich nach seiner Ankunft hatte er den Garten in einer einzigen fließenden Kamerabewegung aufgenommen, um sofort darauf zum oberen Stockwerk zu schwenken. So wohnt mein Schwiegersohn, hörte ich ihn in Gedanken in einem halb verdunkelten Raum zu seinen Bekannten und Verwandten sagen, denen er die Aufnahmen natürlich vorführen musste. Ich hatte ihn im Verdacht, dass er die Linse liebend gern auf Peter Brugginks eingefallenes Gesicht gerichtet hätte, wenn ihn nicht ein letzter Rest von Anstand davon abgehalten hätte. Derweil
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