Odice
Sada.
»In einer halben Stunde wird der Tee serviert, Mademoiselle. Bitte legen Sie etwas Make-Up auf, richten Sie ihr Haar und denken Sie an Strümpfe und hohe Schuhe. Ich lasse die Tür offen. Die Herren erwarten Sie im Salon.«
Odice entschied sich für ein jadegrünes Wickelkleid, zu dem sie ein Paar nicht allzu hohe Manolos wählte.
Um fünf Minuten vor fünf schloss Odice ihre Zimmertür hinter sich und begab sich mit klopfendem Herzen ins Erdgeschoss.
Sie fand Eric und Julien wie angekündigt im Salon.
Julien erhob sich aus seinem Sessel und führte sie zu der Sitzgruppe am Kamin.
»Du siehst bezaubernd aus. Setz dich zu uns, Odice.« Er schenkte ihr ein freundschaftliches Lächeln. Dann bot er ihr den Platz auf dem Biedermeier-Sofa zwischen den beiden Sesseln an und stellte ein Teegedeck vor ihr ab. Er reichte ihr auch eine Etagere mit Häppchen und bot ihr das Teegebäck an, das auf einer silbernen Schale arrangiert war.
Eric saß mit lässig überschlagenen Beinen und einer Zigarre in der Hand in seinem Sessel und sagte nichts. Schließlich hob er eine Augenbraue.
»Allmählich frage ich mich, wer hier Diener und wer Herr im Hause ist, Julien«, sagte er spitz.
»Ich dachte, wir wären uns einig, dass unsere Klientinnen Gäste in unserem Haus sind und nicht mit trivialen Haushaltspflichten belastet werden sollen.« Juliens schöne Stimme klang nun ebenso gereizt.
»Unsere schöne Odice muss nicht den Tee servieren, aber sie darf auch ihren Status nicht vergessen. Sie hat sich freiwillig in den Zustand der Sklaverei begeben, wie all unsere Gespielinnen vor ihr. Und so und nicht anders ist sie zu behandeln, Julien.«
Einen Moment lang herrschte unheilschwangeres Schweigen. Dann erhob sich Eric abrupt aus seinem Sessel.
»Ich werde mir jetzt draußen im Park die Füße vertreten und die saubere Luft genießen, die der Regen hinterlassen hat. Odice, du wirst mich begleiten.«
Automatisch sah sie hilfesuchend zu Julien hinüber, doch der ignorierte ihren Blick und schenkte sich Tee nach.
Es fiel ihm unsagbar schwer, sie Eric zu überantworten. Julien musste sich eingestehen, dass er eifersüchtig war. Er konnte es kaum ertragen, sie mit Eric zu teilen und ganz unerträglich war ihm der Gedanke daran, wenn Eric nun mit ihr allein sein würde. Julien wusste, dass sein Bruder ungleich mehr Erfahrung besaß als er selbst und immer gewissenhaft und verantwortungsvoll mit ihren Klientinnen verfuhr. Außerdem bevorzugte Eric den von der Natur dafür vorgesehenen Zugang bei Frauen nicht und verschmähte ihn im Allgemeinen zugunsten anderer Genüsse. Insgeheim war Julien für jeden Tag dankbar, an dem Odice noch den Zapfen tragen musste.
Gehorsam stand Odice auf und folgte Eric in die Halle, wo er in hellbraune Lederstiefel stieg, die perfekt zu seiner hellen Feincord-Hose passten. Dann ließ er sich von Sada in eine dunkle Burberry-Steppjacke helfen. In diesem Outfit sah er aus wie ein englischer Landadeliger.
»Bitte bring mir noch die einfache Reitgerte aus dem Dielenschrank«, wies er Sada ganz beiläufig an und Odice stockte der Atem.
»Ich muss mir noch einen Mantel holen«, erklärte sie hastig, doch Eric schüttelte nur amüsiert den Kopf.
»Den wirst du nicht brauchen, Odice. Ich bin überzeugt, dir wird da draußen schon warm werden.«
Ganz Gentleman bot er Odice seinen Arm und erst nachdem er sie mit seinen dunklen Adleraugen streng taxiert hatte, nahm sie das galante Angebot zögernd an. Er schritt mit ihr die Freitreppe des Hauptportals hinunter, wandte sich dann nach rechts zu den ehemaligen Stallungen und bog von dort in einen hell gekieselten Weg ein, der vom Herrenhaus weg in den weitläufigen Park hinaus führte. Die Sonne schien, doch der Wind pfiff noch immer kalt durch die hohen Bäume und Odice fror an Erics Arm. Außerdem trug er geeignetes Schuhwerk und ging entsprechend zügigen Schritts, während sie auf ihren Manolos unbeholfen neben ihm her stakste. An einem alten, von Efeu überwucherten Wasserbassin hielt Eric plötzlich an, streifte sich fingerlose, cognacfarbene Lederhandschuhe über, die er in der Jackentasche gehabt hatte, und riss ein paar lange Stiele Brennnesseln ab. Dann gingen sie weiter, bis er an einer kleinen lichtungsartigen Kuppel mit einem antikisierenden Pavillon im Zentrum vom Weg abbog und Odice ins nasse Gras führte. Ihre Absätze versanken zentimetertief in dem aufgeweichten Boden und sie schlotterte inzwischen vor Kälte. Erics Hand lag fest um
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