Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
einer altgermanischen kostbaren Fibel in Form eines Vogelkopfs gehalten war. Ihre Augen waren auch ohne römische Schminkkünste groß und glühend von Angriffslust und südlicher Leidenschaft. Die Männer gafften sie an, die einen neugierig, die anderen lüstern, viele beunruhigt.
Sie begann mit einer kurzen pathetischen Schilderung ihres mütterlichen Schmerzes und einer Anrufung des Herrn Jesus Christus, damit er dieses Gericht erleuchte und ein gerechtes Urteil finden lasse. In ihrer eigenartigen, etwas singenden, von romanischen Brocken durchsetzten Sprache gab sie zur Sache dann das Folgende an.
Am Tag zuvor, bei schon sinkender Sonne, sei Herr Siegram mit seinem jungen Begleiter auf dem Herrenhof erschienen. Sie habe mit einer Stickerei unter der Linde vor dem Saalhaus gesessen, voller schwerer Gedanken wegen der langen Trennung von ihrem geliebten Gemahl. Der Fremde sei höflich gewesen, habe seinen Namen, seinen Stand und sein Reiseziel angegeben und gebeten, ein wenig rasten und zur Abkühlung und Reinigung nach einem langen Ritt auf staubiger Straße unten im Flüsschen baden zu dürfen.
Natürlich habe sie die Bitte gewährt, den Gast aber aufgefordert, zunächst bei ihr Platz zu nehmen und einen Becher Wein zu genießen. Selten seien ja die Gelegenheiten, mit weit gereisten Leuten zu sprechen und etwas vom Treiben der Welt zu erfahren. Sie habe sich dabei auch ein wenig Ablenkung von ihrem Kummer versprochen. Zu ihrer Freude hatte der Gast erst kürzlich Orte in Neustrien besucht, die sie selbst aus ihrer Jugend kannte. So sei das Gespräch bald lebhaft geworden und sie habe, um es zu verlängern, Herrn Siegram vorgeschlagen, nach dem Bade ein Mahl zu sich zu nehmen und vielleicht auch im Saalhaus zu übernachten. Dieses in allen Ehren vorgebrachte Angebot habe er jedoch abgelehnt, da er die angenehme Kühle des Abends nutzen und noch ein paar Meilen zurücklegen wollte.
An dieser Stelle warf Frau Begga Herrn Siegram, der ihr im Abstand von zehn Schritten gegenüber stand, einen raschen Blick zu, der vieles bedeuten konnte. Herr Siegram lächelte fein und ein wenig abschätzig. Er hatte die Arme gekreuzt und, ein Bein vorgestreckt, eine so anmutige Haltung eingenommen, als stünde er in einem von Säulen getragenen Festsaal und nicht auf einem abschüssigen Dorfanger zwischen Kuhfladen. Doch bald verließ ihn diese Gelassenheit, denn Frau Begga schoss ihren ersten vergifteten Pfeil ab.
„Aber dann erschien meine Tochter Chrodelind! Ich nenne sie Tochter, meine Herren Richter, denn seit ich Mutterstelle bei ihr vertrete, liebten wir uns so innig, wie sich Mutter und Tochter nur lieben können. Sie war so zart, so zerbrechlich, ein liebes kleines Vögelchen, das immer den ganzen Tag sang. Doch gestern ging es ihr nicht gut. Sie hatte schon in den letzten Tagen und Nächten gefiebert und über Kopfweh geklagt, nun kam der Abschiedsschmerz dazu. Sie war so traurig und niedergeschlagen …“
Frau Begga ließ einen Schluchzer hören und drückte den Zipfel des Schleiers vor ihre Augen.
„Sie kam aus dem Webhaus“, fuhr sie fort, „hatte sich zu den Mägden gesetzt, damit das fröhliche Geschwätz ihre trüben Gedanken verscheuchte. Sie bangte um Farold, ihren Mann, der ja auch in den Krieg gezogen war. Das erste Mal, seit sie verheiratet waren! Die Mägde hatten sie nicht aufheitern können. Ich erschrak, als ich sie auf mich zu kommen sah. Sie war blass, ihre Augen waren von Tränen umflort, sie wankte. Ich trat ihr entgegen und stützte sie. ‚Mein liebes Kind‘, rief ich, ‚bist du so krank?‘ Und ich ließ sie neben mir niedersitzen. Da sah ich plötzlich, wie er sie anstarrte. Er konnte sich nicht von ihr abwenden und hatte nur noch Blicke für sie. Trotz ihres Zustands versuchte die Ärmste zu lächeln und ein wenig zu plaudern. Entzückt hing er an ihren Lippen und seine eigene Rede, meine Herren, die vorher ein Bach war, wurde ein Strom! Schnell hatte er vergessen, dass er eben noch seine Reise fortsetzen wollte. Er befahl seinem Diener, das Gepäck abzuladen. Dann bat er um unsere Erlaubnis, sich vom Reisestaub zu befreien, und stieg in den Fluss. Oh, wäre er drin ertrunken! Dann würde mein liebes Kind noch am Leben sein!“
Frau Begga zog wieder den Schleier vor das Gesicht und es schien, als könnte sie vor heftiger Erschütterung nicht weiter sprechen.
Odo raunte mir zu: „Dazu hätte sie schon mit ihm gemeinsam in den Fluss steigen müssen. Hier ertrinkt man doch nur, wenn
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