Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
sie nachhilft.“
Ich hatte den Sänger beobachtet, der inzwischen mehrmals heftige Zeichen des Widerspruchs gegeben hatte. Mal hatte er die Augen geschlossen und den Kopf geschüttelt, dann wieder aufgelacht wie über etwas Unfassbares.
Jetzt trat er zwei Schritte auf die Zentgräfin zu und rief: „Warum bleibt Ihr nicht bei den Tatsachen, edle Frau? Berichtet doch diesen Herren die Wahrheit! Eure Tochter war ja nicht krank …“
Hrotbert fuhr sofort streng dazwischen.
„Schweigt, Herr Siegram! Noch seid Ihr nicht aufgefordert zu reden. Sprecht weiter, Frau Begga!“
„Meiner armen Tochter ging es auf einmal so schlecht, dass sie sich niederlegen musste“, fuhr die Zentgräfin fort. „Sie hatte sich nur zusammengenommen, um unserem Gast nicht zu missfallen. Doch jetzt konnte sie sich nicht mehr aufrecht halten. Ich führte sie in das Saalhaus und bettete sie in der Kammer. Dann eilte ich, um einen Kräutersud zu bereiten, von dem ich hoffte, er würde ihr guttun. Besorgt lief ich hin und her und alle meine Sinne waren bei meinem kranken Kind, sodass ich den Gast ein wenig vernachlässigte. Plötzlich führte er sich recht seltsam auf. Ich bot ihm im Saal Platz an und ließ ihm auftragen, doch damit war er nicht zufrieden. Herrisch rief er nach Chrodelind, damit sie ihm Gesellschaft leistete. Ich musste ihn bitten, die Stimme zu dämpfen und Rücksicht zu nehmen. Schilderte ihm ihren Zustand, sagte ihm, es sei ihr unmöglich, sich zu ihm zu setzen. Auch auf das Befremdliche seines Verhaltens wies ich ihn hin. Doch er wollte nichts hören und drängte nur stärker. Da machte ich ihm den Vorschlag, für sie zu singen. Ich selber liebe die Sangeskunst und weiß um ihre erhebende Wirkung. Ich hatte die Eingebung, dass der Gesang meinem Kinde helfen könnte. Irgendwann hatte ich einmal gehört, ein kranker König sei durch einen Sänger gesund gemacht worden.“
Sie seufzte tief und betupfte ihre Augen.
„Und weiter“, sagte Graf Hrotbert. „Er war einverstanden? Er sang für sie?“
„Zunächst lehnte Herr Siegram ab. Er sah sich verächtlich um und sagte: ‚In diesem engen, dumpfen und stinkenden Saal soll ich singen?‘ Er sagte ‚stinkenden‘, meine Herren! Seine Stimme könne hier nicht erblühen, sich nicht zu ihrer vollen Höhe und Schönheit entfalten. Ich flehte, bestürmte ihn, bat ihn um Nachsicht, unserer bescheidenen Verhältnisse wegen. Er erwiderte, dass er gewöhnt sei, vor Königen, Fürsten und ihrem großen Gefolge zu singen. Ich solle ihm wenigstens ein Gefolge verschaffen, wenn schon kein Fürst vorhanden sei. So sandte ich aus, um ein paar würdige ältere Männer holen zu lassen, die jüngeren sind ja fast alle zum Heer unterwegs. Es wurde dunkel, wir zündeten Fackeln an. Schließlich waren alle versammelt. Da kam er mit einer neuen Ausflucht. Er erklärte, dass er nur singen werde, wenn Chrodelind in den Saal komme. Ich sagte: ‚Wie denn, mein teurer Herr? Sie ist viel zu schwach, sie wird hinter der Tür lauschen.‘ ‚So öffnet die Tür, damit ich sie sehe!‘, befahl er. Also tat ich, wie er mich hieß, und nun sang er endlich. Er sang herrlich, wie alle bestätigen können, die zugehört haben. Auch meine Tochter war begeistert. Als ich ihr gesagt hatte, dass Herr Siegram sie während seines Gesangvortrags sehen wollte, hatte sie mich gebeten, ihr das dunkelblaue Gewand zu bringen und das goldene Kreuz mit dem Opal. Sie wollte nicht hässlich und elend aussehen. Wie schön sie war, als sie auf dem Ruhebett lag und lauschte! Auch jetzt verschlang er sie wieder mit Blicken. Und während er sang und die Harfe schlug, versuchte er sogar, in die Kammer zu treten. Das verhinderte ich, es wäre zu aufregend für sie gewesen. Es war so schon genug! Der Gesang von den Liebenden erinnerte sie an ihren teuren Gemahl und hinterher sagte sie mir, sie hätte während des Vortrags die Ahnung gehabt, dass sie ihn nicht wiedersehen würde. Gott im Himmel, wie Recht sie hatte!“
Frau Begga schwieg und rang wieder um Fassung.
Da sagte Odo laut und vernehmlich: „Auch Euch hat der Gesang erregt, edle Frau! War dies auch die Sorge um Euern Gatten?“
„Daran solltet Ihr wohl nicht zweifeln!“, erwiderte sie, ohne zu zögern. „Aber vielleicht ist es bei den hohen Herren jetzt Mode, Frauen zu verspotten, die ihr Alleinsein beklagen und krank werden, wenn ihre Gatten abwesend sind.“
„Weiter, Frau Begga!“, drängte Hrotbert.
„Dann traten die Herrn Königsboten ein und ich
Weitere Kostenlose Bücher