Odo und Lupus 01 - Demetrias Rache
einen Edlen vor all diesen Männern.“
„Wenn er sich für unschuldig erklärt, mag er es dort in der Kirche auf das Evangelium schwören“, schlug ich vor.
„Fahren wir also fort“, sagte Hrotbert und rief: „Sprecht Ihr nun, Herr Siegram! Verteidigt Euch!“
Einen Augenblick sah der Sänger zum Himmel empor, um sich zu sammeln.
„Ihr Herren“, begann er mit leiser Stimme, „erlaubt, Euch erst dies zu sagen: Ist der Sänger überall zu Hause, so ist er doch gleichzeitig überall ein Fremder. Rastlos zieht er umher, nie kommt er endgültig an. Angewiesen ist er auf Gastlichkeit und Vertrauen, das man ihm gewähren, aber auch verweigern kann. Für seine Kunst wird er geehrt und bewundert, seiner Unrast wegen wird er beargwöhnt. Er kommt aus der Ferne und er zieht in die Ferne, man kann ihn nicht festhalten. Man muss ihn schon eines Verbrechens bezichtigen, um das zu tun!“
Er sah Frau Begga voll an, die, wie mir schien, leicht errötete.
Der Sänger führte uns nun in seine Heimat, das Königreich Wessex. Fing mit den Heldentaten seiner Vorfahren an. Schilderte die Nöte des siebenten Sohnes eines Edlen, der nur die Wahl zwischen dem Kloster und unsteter Wanderschaft hatte. Er wählte das Letztere: Länder, Städte, Meere, Herzöge, Grafen, Bischöfe. Aber auch staubige Straßen, dumpfe Herbergen, versinkende Fähren, brennende Brücken. Sechsmal war er überfallen und beraubt worden. Da hatte er es aufgegeben, eine teure Gefolgschaft zu unterhalten. Er hatte seine Besitztümer in die Hände eines vertrauenswürdigen Freundes gelegt und war nur noch mit dem Jungen gereist, Gott und seinem Glück vertrauend. Ja, auch der König habe sich seines Gesangs erfreut, sagte er stolz, wie dessen hier anwesende Abgesandte bestätigen könnten. Und nun sei er unterwegs nach Thüringen.
Nachdem er dies alles ausgeführt hatte, wandte er sich seiner Kunst zu. Schon in seiner Kindheit habe er voller Inbrunst den Barden gelauscht, welche, von Norden kommend, seine angelsächsische Heimat durchzogen. Dann habe er seine eigene Begabung entdeckt und …
An dieser Stelle unterbrach ihn Graf Hrotbert ungeduldig. „Sprecht nun zur Sache, Herr Siegram! Ihr braucht nicht Euern Gesang zu verteidigen. Wie ich höre, hat niemand etwas an ihm auszusetzen. Aber Ihr seid eines Mordes angeklagt!“
Der Sänger schluckte die Zurechtweisung. Er lächelte sogar, um Entschuldigung bittend, und schwieg einen Augenblick. Dann begann er mit seiner Darstellung der Ereignisse.
Wie die Zentgräfin seine Ankunft beschrieben hatte, entsprach nach seinen Worten der Wahrheit. Der dringende Wunsch nach einem Bad, der Hinweis eines Bauern, es gebe hier einen Bach oder Fluss, allerdings hinter Zäunen und Toren, habe ihn auf den Salhof geführt. Frau Begga habe ihn begrüßt und ihn gebeten, über sich Auskunft zu geben. Zunächst habe er nicht den Eindruck gehabt, sagte Siegram, dass sie über seine Ankunft besonders erfreut war. Doch als er sagte, er sei ein Skop, da sei sie wie umgewandelt gewesen. Sie habe Rufe der Überraschung ausgestoßen und überschwänglich Freude bekundet. Seltsam seien ihre Aussprüche „An so einem Tag!“ und „Ein Abgesandter des Himmels!“ gewesen. Jedenfalls sei ihm noch niemals durch eine Gutsherrin in einem abgelegenen Tal ein solcher Empfang bereitet worden. Frau Begga habe gleich Wein kommen lassen und ihn mit Fragen nach dem Woher und Wohin bestürmt. Dann seien sie auf jene neustrischen Comitate zu sprechen gekommen, wo auch sie einen Teil ihres Lebens verbracht hatte. Bald habe sich herausgestellt, was ihr Verhalten einigermaßen erkläre: dass sie einst die Frau eines Sängers gewesen war, bevor sie Umstände, die sie nicht näher bezeichnen wollte, in ihre jetzige Lage gebracht hatten. Mehrmals habe sie ihre Genugtuung darüber geäußert, dass ihr jetziger Gatte, der Zentgraf, abwesend war. Und dann habe sie ihm vorgeschlagen, die Nacht auf dem Salhof zu verbringen.
„Wollt Ihr uns damit sagen, Herr Siegram“, warf Hrotbert ein, „dass Euch die Zentgräfin diesen Vorschlag machte, weil sie Gefallen an Euch fand? Weil sie vielleicht bestimmte Absichten hatte?“
Frau Begga warf ihm einen empörten Blick zu.
„Das ist beleidigend, Herr Graf! Das wagt Ihr nur, weil mein Gemahl nicht anwesend ist!“
„Antwortet auf meine Frage, Herr Siegram!“, sagte Hrotbert, ohne den Einwurf zu beachten.
„Ich hatte wahrhaftig diesen Eindruck“, sagte der Sänger und blickte dabei auf Odo, der ihm mit
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