Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
riß er dem Pater, der neben ihm saß, das Pergament aus der Hand, „‚Im Namen unseres Herrn Jesus Christus! Wenn ich Sünder die irdische Welt verlasse und das natürliche Zeitmaß erfülle, soll der Konvent von … aus Dankbarkeit folgendes aus meiner Hinterlassenschaft erben: die siebzehn Gutshöfe mitsamt Sklaven, Feldern, Wiesen und Weinbergen, die meinem Vorfahren Theudebald von König Chlothar zu seinem Unterhalt überantwortet wurden; die zwölf Dörfer, die ich … ‘“
„Genug, genug!“ wehrte Ebrachar ab. „Was liest du da überhaupt, mein Sohn Cleph? Seit wann kannst du lesen?“
„Steht das hier etwa nicht?“
„Ja, es steht dort, aber … ah, ich verstehe! Du hast uns belauscht, du kannst es auswendig. Dabei sollte es doch geheim bleiben! Hörst du, Fabio? Das Geheimnis ist schon verraten, nun wird es unter den Bauern und Knechten Unruhe geben. Es wird deshalb besser sein, noch zu warten und …“
Aber Fabiolus hatte schon eine Feder in der Hand und ein Tintenfaß vor sich auf dem Tisch. Er mußte beides bereits vor Beginn des Mahls unter der Bank versteckt haben. Er tauchte die Feder in die Tinte, nahm dem Cleph, indem auch er blitzschnell zufaßte, das Pergament wieder fort, ging um den Tisch herum und stellte sich hinter Ebrachar.
„Es war Euer eigener Wunsch, edler Herr, nach der Messe für Euern Sohn Gott und der Gemeinschaft seiner Diener Eure Gabe darzubieten. Wir wurden dabei nur unterbrochen. Doch laßt Euch nun nicht mehr stören und vollzieht Euren Willen. Hier unten bitte.“
Und wahrhaftig, Ebrachar griff mit zitternder Hand nach der Feder, faßte sie wie eine Lanze und beugte sich über die Urkunde.
Doch er setzte den Krakel auf die Tischplatte. Im letzten Augenblick war das Pergament unter der Feder hinweggeglitten.
Odo hatte es in der Hand und reichte es mir gleich weiter.
„Dieses Schriftstück ist beschlagnahmt!“ erklärte er mit amtlicher Miene. „Es muß erst geprüft werden, ob sein Inhalt nicht dem geltenden Recht widerspricht. Außerdem müssen wir feststellen, ob es nicht die Interessen des Königs schädigt.“
„Aber wie kommt Ihr darauf?“ rief Fabiolus. „Wie sollte es die Interessen des Königs …?“
„Primo. König Chlothar, ich vermute der Dritte, übergab unserem Ahnen Theudebald vor über hundert Jahren siebzehn Gutshöfe. Die Frage ist: Gab er sie ihm als Benefiz oder als Eigentum?“
Ebrachar holte tief Luft, um zu antworten, aber Odo legte ihm einfach die Hand auf den Mund.
„Secundo. Wenn er sie ihm als Benefiz gab, blieben sie Eigentum des Königs, auch wenn sie gewohnheitsmäßig in der Familie weitervererbt wurden. Tertio. Das Eigentum König Chlothars ging an seine Nachfolger über und ist heute Eigentum König Karls. Quarto. Eigentum König Karls kann nicht ohne Einverständnis König Karls vererbt werden. Quinto. Falls Gott oder jemand anders aufgrund von Gelöbnissen oder Zusagen Anspruch darauf erhebt, muß dazu ein Antrag gerichtet werden an … an wen, Vater?“
„Zunächst natürlich an die Hofkanzlei!“ sagte ich ernsthaft.
„Aber dort wird noch nichts entschieden.“
„Nun müssen erst die Archive befragt werden.“
„Das dauert einige Jahre.“
„Leider. Sie sind in verschiedenen Pfalzen untergebracht. Aus Platzmangel.“
„Falls die Eigentumsurkunde oder, was wahrscheinlicher ist, die Lehensübertragung gefunden wird …“
„… muß natürlich die Echtheit geprüft werden.“
„Wieder einige Jahre. Dann erst kommt der Fall vor das Hofgericht.“
„Wo mehrere hundert solcher Fälle auf Erledigung warten.“
„Und sollte schließlich das Hofgericht zugunsten des Antragstellers entscheiden …“
„… muß natürlich der König selbst noch zustimmen.“
„Aber der ist fast immer abwesend. Er ist auf Reisen oder führt Krieg.“
„Nur einmal im Jahr hat er etwas Zeit. Zwischen Weihnachten und Ostern.“
„Da hört Ihr es, Pater!“ rief Odo. „Bruder Lupus war lange bei Hofe in der Kanzlei, er muß es wissen. Ein Jahrzehnt lang kann sich die Sache hinziehen. Ich selber halte sie für ganz aussichtslos. Aber Ihr könnt es natürlich versuchen. Dabei habt Ihr noch Glück, weil wir gerade hier sind. Wir werden Euern Antrag entgegennehmen, wohlwollend prüfen und weiterbefördern, zusammen mit dem Testament meines Vetters. Habt Ihr noch Fragen?“
Odo drehte sich zu Fabiolus um, grinste breit und drehte die Enden seines Schnurrbarts. Ich hatte das Pergament schon in die weite Tasche
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