Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
fahren oder das Meer durchschneiden. Denn viele Wege führen dorthin oder, wie andere sagen, nach Rom.
Doch der dies erkannte, war ein Heide, den wir Christen sogar Apostata, den Abtrünnigen, nennen. Außerdem war er römischer Kaiser, und so einer kann auch hunderte Jahre nach seinem Tode, wie mein schmerzhafter Zusammenprall mit IUSIMP im Garten Ebrachars zeigte, uns frommen Dienern Gottes nur Schaden bringen.
So mißtraue ich lieber seiner Lehre, auch wenn sie vernünftig erscheint, und halte mich an die Bibel, wo es im vierzehnten Abschnitt der Sprüche Salomos heißt: „Ein treuer Zeuge lügt nicht. Aber ein falscher Zeuge redet frechlich Lügen.“
Ein falscher Zeuge wäre ich sogar, wenn ich an meiner Stelle meinen Freund Odo hinauf in den Turm zu der Dame Prisca schickte, obwohl dies, wenn ich im Manuskript zurückblättere, im fünften Kapitel schon vorbereitet und vom Leser, der Odo aus meinen früheren Erlebnisberichten kennt, womöglich erwartet wird.
Nein, nein, ich versage mir diese Lüge! Ich selber, Lupus, Mönch und Kleriker, durch mein Gelübde zur Keuschheit und der alleinigen Hingabe an Gott und seinen Sohn Jesus Christus verpflichtet … Aber Schluß mit Vorreden, Schluß mit Rechtfertigungen!
Ich fahre fort.
Das Plättchen vom silbernen Gürtelschmuck, das die Kinder aus den von Unrat starrenden Haaren des Toten gezogen hatten, gab meinen Überlegungen zu dem Fall eine Richtung, die ich zwar erahnt, für die ich zuvor aber keine Anhaltspunkte gehabt hatte. Ich zweifelte nun nicht mehr, daß Drog mit dem Gürtel erdrosselt wurde, den er aus meinem Reisesack entwendet hatte. Während das Leder seinen Hals schnürte, mußte sich das Plättchen gelöst und in seinen zwar dünnen, doch bis tief in den Nacken hängenden Haaren verfangen haben.
Daraus ergab sich nun, daß der Gürtel zur Hand gewesen sein mußte, als der Mörder zur Tat schritt. Das Tötungswerkzeug mußte in diesem Augenblick sichtbar, greifbar gewesen sein, weder in einer Tasche, noch unter dem Mantel versteckt. Doch welches sündige Ritual zwischen Drog und einer Magd auf einem nächtlichen, unbeleuchteten Strohlager ich mir auch vorstellte (Gott verzeih mir's), ich brachte den Gürtel des Gundobad einfach nicht dorthin, wo ihn der eifersüchtige Missetäter nur nehmen und seinem Opfer um den Hals werfen mußte. War es denn denkbar, daß Drog den kostbaren Gegenstand, dessen er sich mit Tücke bemächtigt hatte, an seiner Seite achtlos im Stroh herumliegen ließ, während er sich seiner Ausschweifung hingab?
Wahrscheinlich, folgerte ich, hatte der vogelköpfige Dichter und Possenreißer den Gürtel sogar in der Hand, als der Mörder zugriff. Er wies ihn vor, mit der Absicht, den anderen zu beeindrucken, zu erschrecken. Ihm vielleicht sogar einen Preis abzuringen für den Besitz des silbergeschmückten Leders oder dafür, daß er es nicht dem Ebrachar oder dem Fabiolus vorzeigte. Wer aber konnte auf diese Weise erschreckt werden, und wer konnte den Drog in angemessener Weise bezahlen?
Natürlich fiel mir gleich der Vilicus ein. Sein Gebaren, als ich den Leichnam suchte, war verdächtig genug. Nachdem Odo ihn gegen Mitternacht am Wasserbecken entlassen hatte, war er vermutlich nach dem Turm gegangen, wo er – das hatte ich gerade bei Ebrachar mitbekommen – im zweiten Stockwerk beim Gesinde schlief. Drog konnte ihm aufgelauert, den Gürtel vorgezeigt und ihn in irgendeiner Weise bedrängt und bedroht haben. Da hatte der leicht erregbare Cleph ihm den Gürtel entrissen und …
Aber so konnte es nicht gewesen sein. Der Leichnam wurde aus einem der Turmfenster geworfen. Wenn Drog den Cleph abgepaßt hatte, dann sicher nicht oben beim Gesinde. Der Tat vorausgegangen sein mußte auch ein heftiger Wortwechsel – würde er nicht die schlafenden Knechte und Mägde geweckt haben? Und würde Cleph – trotz Nacht und Dunkelheit – so unvorsichtig gewesen sein, vor diesen Zeugen zu morden und sein Opfer aus dem Fenster zu stoßen? Wenn aber die Tat auf ebener Erde geschah … was hätte den Vilicus dann bewogen, den Leichnam, bevor er ihn in die Grube warf, hinauf auf den Turm zu schleppen?
Da erinnerte ich mich der Worte des Drog: „Da oben haust eine schwarze Spinne, die auf Fliegenmännchen aus ist.“ Er hatte die edle Frau Prisca, die fast nie von dort herabstieg, als Anstifterin des Mordes an Gundobad, ihrem Gemahl, bezeichnet. Er hatte sie boshaft eine Hure genannt, die den Cleph in ihr Netz gezogen habe. Und ich
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