Odo und Lupus 03 - Pater Diabolus
Prisca, die wieder in ihrem Fenster saß, in ein fliederfarbenes Gewand gehüllt. Sie hielt eine Schale in der Hand, aus der sie wohl Obst aß, dessen Reste sie herunterspuckte. Ich senkte rasch wieder den Blick, denn man sah viel von dem weißen, üppigen Fleisch ihrer Beine, deren eines sie sogar lässig und unbeschuht aus dem Fenster herabhängen ließ.
Herr Rocco entbot ihr einen Heilgruß, und sie antwortete ihm mit ihrer kräftigen, ein wenig rauhen Stimme.
Als wir vorüber waren, sagte er: „Schamloses Weib! Keine Ehre, mit der verwandt zu werden!“
Der Tote lag mitten auf der Wiese, mager und nackt wie ein gerupfter Vogel. Mägde hatten ihm die besudelte Kleidung vom Leib geschnitten und ein paar Krüge Wasser über ihm ausgeleert. Einige ältere Leute vom Gesinde standen gaffend in der Nähe. Kinder spielten, um den Leichnam herumlaufend, Haschen. Der Tod ist bei uns im Frankenland ein zu häufiger Gast geworden, als daß man ihm noch mit Staunen und Ehrfurcht begegnete.
Herr Rocco warf nur einen flüchtigen Blick auf den Leichnam des Drog. Unter den Gaffern erkannte er zwei seiner eigenen Leute und herrschte sie an: „Warum laßt ihr ihn hier so herumliegen? Was seid ihr für Christenmenschen, ihr Schufte? Holt eine Decke! Vorwärts! Soll ich euch Beine machen?“
Sie eilten davon. Rocco fragte mich nun aus, und ich mußte ihm in allen Einzelheiten berichten, wie wir den Toten geborgen hatten. Von einem Busch brach er einen Stock ab und drehte und wendete damit die Lumpen des Drog, die ein Stück von der Leiche entfernt lagen.
„Habt Ihr das mal untersucht, Vater? Er mußte den Gürtel bei sich haben. Vielleicht in der Manteltasche.“
„Ihr bemüht Euch vergebens. Da ist nichts, ich habe schon nachgesehen. Keine Spur von dem Gürtel.“
„Nun, das macht nichts. Vielleicht hat ihn der Mörder. Und der wird sich hüten, ihn zu zeigen. Wird ihn heimlich verkaufen. Vielleicht hat er auch nur das Silber genommen, um es einzuschmelzen, und den Gürtel dort in die Grube geworfen. Auf jeden Fall ist die Gefahr vorüber. Nur meine Gemahlin ist noch zu fürchten“, fügte er seufzend hinzu. „Sie wird mir zusetzen, weil ich auf ihren Liebling nicht aufgepaßt habe. Da werd' ich ihr wohl drei Tage aufs Maul hauen müssen, eher wird sie nicht Ruhe geben!“
Diese Aussicht verstimmte ihn etwas. Er stapfte hierhin und dorthin und warf abschätzige Blicke um sich.
„Seht Euch hier um, es ist vieles heruntergekommen! Der Cleph allein kann den Ruin nicht aufhalten. Das ist die Folge, wenn sich der Herr um nichts kümmert und nur noch betet. Gestern abend hoffte ich schon, daß er kuriert sei, aber Ihr habt's ja gehört … Er schreit schon wieder nach seinem Diabolus. Weg da!“ brüllte er plötzlich. „Was treibt ihr da, ihr Verfluchten?“
Die Kinder knieten im Gras um den Leichnam herum und machten sich an seinem Kopf zu schaffen. Wahrhaftig, sie wühlten in seinen Haaren!
„Ich hab's!“ schrie ein kleines Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt.
Die ganze Schar stob davon, als Herr Rocco sich schnaufend auf sie zuwälzte.
Die Knechte kamen jetzt mit der Decke. Während der Dicke seine Anordnungen traf, beobachtete ich die Kinder.
Sie drängten sich zu einem Haufen zusammen. Das kleine Mädchen, von den anderen umringt und kaum noch zu sehen, schien etwas zu zeigen. Ich hörte Rufe des Erstaunens.
Die Kleinen waren so sehr in die Betrachtung ihres Fundes vertieft, daß sie nicht merkten, wie ich mich näherte und den Hals reckte.
In der Kinderhand schimmerte etwas. Ich erkannte es nicht gleich. Alle beugten ihre strubbeligen Köpfe über das Ding und flüsterten aufgeregt.
„Ein Adler … nein, ein Hahn … guck, da sind Fische …“
Es war eines der silbernen Plättchen vom Gürtel des Gundobad.
7
L ange habe ich nachgedacht und überlegt, ob es wohl eine Möglichkeit gäbe, meine Geschichte fortzusetzen, ohne dieses Kapitel zu schreiben. Und da ich mir schmeichle, die Feder nicht ohne Geschick zu handhaben, kam ich sogar zu dem Schluß, es gäbe mehrere. Denn es liegt ja im Ermessen des Schreibenden, welche Ereignisse er zu großer Bedeutung aufbläht oder zu Winzigkeiten schrumpfen läßt. Hat er genügend Vorstellungskraft, wird er zu seinem Ziel gelangen, auch ohne immer den geraden und kürzesten Weg zu gehen. Will einer, wie ein gebildeter Redner sagte, nach Athen reisen, so kann er dorthin segeln oder gehen, er kann Heerstraßen oder Trampelpfade benutzen, die Küste entlang
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