Odo und Lupus 04 - Die Witwe
strahlten hundert Sonnen auf einmal.
Wo war ich? Im Purgatorium? Empfing meine Seele ihr Reinigungsbad? Wurde sie durch Feuer geläutert, alles Irdische in ihr ausgebrannt? Würde ich, war dies überstanden, in die Gefilde der himmlischen Seligkeit eintreten?
Ich breitete meine Arme aus, um sie dem Feuer darzubieten. Mich wunderte, daß ich noch einen Körper besaß. Unzweifelhaft hatte ich noch Empfindung, denn plötzlich war mir, als würde sich in meine Hand eine andere legen. Es war eine leblose Hand, die ich drückte. Als ich sie losließ, fiel mir gleich etwas entgegen. Es stieß so hart gegen meine Brust, daß ich erschrak. Ich wälzte es von mir, wobei ich in einen Haarschopf griff. Ein Auge aufreißend nahm ich zunächst nur gelbliche Schwaden wahr. Dahinter aber erschien ein Jünglingsgesicht mit Stülpnase, grinsendem Mund und gebrochenen Augen.
Ich stieß einen Schrei aus – und erwachte davon. Auf dem Rücken lag ich in einem Raum, der voller Rauch war. Ringsum züngelten Flammen. Das Dach über mir brannte lichterloh. Ein Sparren löste sich und stürzte herab. Der Funkenregen besprühte mich und den Leichnam des Hug, den ich noch immer im Arm hielt.
Was jetzt geschah, war Sache eines Augenblicks. Ich stieß den Toten von mir, in den wallenden Rauch. Hustend und tränenden Auges kam ich irgendwie auf die Beine. Dabei taumelte ich gegen die brennende Wand, die hinter mir nachgab. Mit Donnergetöse fiel sie nach außen. Ich wurde dabei hinausgeschleudert und landete auf der Lichtung im Gras.
Um mich her wirbelten Balken und Bretter mit Feuerschweifen. Der Aufprall war schmerzhaft, doch meine Sinne blieben wach, und so gelang es mir, bis zum Waldrand zu kriechen. Es war höchste Zeit. Im nächsten Augenblick stürzte das Dach ein, und wie Geschosse flogen die brennenden Trümmer über die Lichtung. Eine gewaltige Lohe erhob sich, wo vorher die Hütte stand.
Ich spürte Regentropfen auf meiner Haut. Es war noch hell, aber schwarze Wolken zogen herauf. Eines der schnellen Unwetter nahte. Ich dachte noch, wie gut das jetzt sei und daß es diesmal im richtigen Augenblick käme.
Den ersten Donnerschlag aber nahm ich schon nicht mehr wahr. Nun fiel ich wirklich in Ohnmacht.
„Lupus! Wach auf! Komm zu dir!“
Es war Odos Stimme, die mich weckte. Ich klappte ein Auge auf und sah meinen Freund und Amtsgefährten neben mir knien. Er beugte sich über mich und umarmte mich heftig. Ich schrie auf.
„Verzeih!“ Er lächelte schuldbewußt. „Was ist dir passiert, mein Alter? Du siehst aus wie ein zertretener Fliegenpilz. Wie, zum Teufel, bist du hierhergekommen?“
„Ich …“ Es fiel mir schwer zu sprechen, ich konnte nur stammeln. „Ich … ich wollte den Mord verhindern.“
„Den Mord an Hug? Es ist also wahr … er ist tot.“
„Er liegt dort … unter den Trümmern der Hütte.“
„Streng dich nicht an, mein Freund! Bleib liegen, beweg dich nicht! Das meiste habe ich schon begriffen. Was unklar ist, läßt sich erraten. Der Hug bekam Streit mit seiner Bande. Da erschlugen sie ihn und, als du dazwischengehen wolltest, beinahe auch dich. Dann zündeten sie die Bude an und verschwanden. War es so?“
Ich bewegte verneinend den Kopf.
„Nicht ganz …“
„Nun“, sagte Odo seufzend, „wir werden später darüber reden. Du brauchst Ruhe und Pflege, und irgendwie müssen wir dich auch ins Tal bringen. Wie konntest du dich nur hierherverirren?“
„Ich folgte dem Mörder.“
„Wie?“ Odos gewaltige Nase stieß mir entgegen wie eine Speerspitze. „Du folgtest ihm? So kam er von unten?“
Ich bejahte.
„Es war also doch der Alte … der Meginfred!“
„Der nicht …“
„Aber wer? Wer war es dann?“
„Es war Thankmar. Der Sohn des Grafen.“
Kaum war dies heraus, hörte ich hinter Odo jemand aufschreien. Ich hatte in dem begrenzten Blickfeld meines halbgeöffneten linken Auges (es war nur leicht an der Braue verletzt, während das rechte vollkommen zugeschwollen war) bisher nur ihn wahrgenommen. Jetzt, als er sich aufrichtete und umdrehte, sah ich auch seine Begleiter, die ein paar Schritte hinter ihm standen: Heiko, unsere Recken und die Meinrade. Es war ein frischer, kühler Morgen mit verhangenem Himmel. In der Mitte der Lichtung erhob sich ein Haufen halbverkohlter Hölzer, der Überbleibsel der Hütte, von denen Rauch aufstieg.
Die Meinrade hatte geschrien. Ihr rundes Engelsgesicht war starr vor Schrecken. Auch alle anderen machten betroffene Gesichter.
„Der
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