Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Sohn des Grafen?“ sagte Odo, indem er sich mir wieder zuwandte. „Du täuschst dich nicht? Ist das wahr?“
Ich bejahte.
Das Mädchen brach in heftiges Schluchzen aus. Ihr ganzer Körper wurde geschüttelt. Heiko, der neben ihr stand, machte einen ungeschickten Versuch, sie zu trösten.
„Du mußt ihn verstehen. Er liebte den Irmo. Es blieb ihm wohl keine andere Wahl. Dein Vetter hatte Irmo ermordet, nun mußte auch er …“
„Aber ich bin ja schuld!“ heulte sie.
„Du? Was hättest denn du damit zu tun?“
„Ohne mich hätt' er's nicht gekonnt.“
„Wieso?“
„Ich habe ihm ja den Weg gewiesen!“
„So hast du also für ihn die Federn gesteckt“, sagte Odo. „Nicht weil du Angst hattest, dich zu verlaufen.“
Das arme Mädchen sank auf die Knie und bedeckte, immerfort schluchzend, das Gesicht mit den Händen.
„Wenn das mein Vater erfährt, schlägt er mich tot! Aber ich hab's ja verdient …“
„Was redest du da!“ sagte Odo. „Du hast ja wohl nicht gewußt, was der Bursche vorhatte. Sonst wärst du jetzt nicht so erschrocken. Wann war er denn bei dir?“
„Gestern früh. Er paßte mich an der Quelle ab, als ich Wasser holte.“
„Und was wollte er?“
„Er sagte, er hätte mich immer noch gern … und jetzt, wo Allard und Irmo tot sind … da könnten wir vielleicht doch noch heiraten. Damit war ich einverstanden. Aber ich fragte, wie er denn meinen Vater versöhnen will, wo er doch mit Irmo gegen Allard und Hug gekämpft hat. Da sagte er, daß er sich erst mit Hug versöhnen muß … nur Irmo war gegen Hug, er nicht … und jetzt, wo Irmo nicht mehr am Leben ist, kann Hug doch noch in die Gefolgschaft, dafür will er sich bei seinem Vater einsetzen. Ich sagte, aber Hug hat den Irmo umgebracht, er kann nicht hierbleiben, er will fortgehen. Da antwortete er, das wird nicht nötig sein, es war die Rache für Onkel Bardo und Allard, und er kann den Hug verstehen, auch wenn er Irmos Freund war. Ich sagte, Hug ist noch in seiner Hütte mit einigen seiner Gefährten. Da sagte er, beschreib mir den Weg! Ich sagte, das darf ich nicht, Herr Meginfred hat geschworen, ihn umzubringen, deshalb hat mir mein Vater streng verboten, jemand zu sagen, wo Hug sich versteckt hält. Da sagte er, wenn Hug erst mal fort ist und kommt nicht wieder … wer soll sich dann bei deinem Vater für unsere Hochzeit einsetzen? Wenn aber Hug erst wieder mein Freund ist, sagte er, spricht er mit deinem Vater, und alles wird gut. Da dachte ich, was soll Hug denn passieren, wenn Thankmar hinaufsteigt, der wird ihm nichts tun, nur mit ihm reden, und da … O Himmel! Mein Vater! Er schlägt mich tot! Er erwürgt mich! Wenn er erfährt, daß ich dem Thankmar den Weg gezeigt habe, bringt er mich um!“
Der Tränenstrom versiegte nicht, während das arme Mädchen dieses Geständnis herunterhaspelte. Immer wieder schrie sie, ihr Vater werde sie töten. Odo und Heiko mühten sich abwechselnd, sie zu beruhigen, doch ohne Erfolg. Von Schuldbewußtsein und Angst geschüttelt hockte die Unglückliche im Grase. Es ging ihr – wenn auch auf eine andere Art – noch schlechter als mir.
Unterdessen hatte Odo bereits eine erste Untersuchung meiner Verletzungen vorgenommen. Es waren, wie sich wohl aus meiner Schilderung schließen läßt, nicht wenige. Der verstauchte Fuß, die Wunden und Prellungen von den Tritten und Schlägen, dazu Abschürfungen und Verbrennungen … mehr als genug für einen Frommen! Odo und einer der Recken zerrissen ihre Hemden, um mir notdürftig Verbände anzulegen. Es fehlte aber Wasser, um die Wunden zu reinigen und die Schwellungen zu kühlen. Ich hatte auch einen entsetzlichen Durst. Ein Krug vom Hausrat der Hüttenbewohner war unbeschädigt geblieben, und die Meinrade erbot sich, zu einem nahen Bergsee zu gehen. Heiko wollte sie begleiten, aber Odo ordnete an, daß er und die beiden anderen schnellstens ein Tragebett anfertigten, damit ich ins Tal gebracht werden konnte. Für das Tragebett hätten natürlich die Hände der Recken genügt, doch mein Amtsgefährte wollte verhindern, daß Heiko, obwohl er ja sonst ein guter Kerl ist, die Verzweiflung des Mädchens ausnutzte. Das hätte uns in eine üble Lage gebracht.
Allein, gesenkten Hauptes und mit noch immer vom Weinen zuckenden Schultern verschwand die Meinrade im Wald.
Während die andern das Tragebett bauten, gab ich Odo einen kurzen Bericht meiner Erlebnisse. Er ließ sich dazu neben mir nieder, damit ich mich beim Sprechen nicht
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