Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
auf die Zauberin los und drohe sie gleich zu erwürgen.
Diese wird in der Angst zu ihrem Lager dich rufen,
Und nun weigre dich nicht und besteige das Lager der Göttin,
Daß sie deine Gefährten erlös und dich selber bewirte.
Aber sie schwöre zuvor der Seligen großen Eidschwur,
Daß sie bei sich nichts anders zu deinem Schaden beschlossen,
Daß sie dir Waffenlosem nicht raube Tugend und Stärke.
Also sprach Hermeias und gab mir die heilsame Pflanze,
Die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur an:
Ihre Wurzel war schwarz und milchweiß blühte die Blume;
Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen
Ist sie schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.
Und der Argosbesieger enteilte zum hohen Olympos
Durch die waldichte Insel; ich ging zum Hause der Kirke
Hin, und viele Gedanken bewegten des Gehenden Seele.
Und ich stand an der Pforte der schöngelocketen Göttin,
Stand und rief; und die Göttin vernahm des Rufenden Stimme,
Kam sogleich und öffnete mir die strahlende Pforte,
Nötigte mich herein; und ich folgte mit traurigem Herzen.
Hierauf führte sie mich zu ihrem silberbeschlagnen
Schönen prächtigen Thron mit füßestützendem Schemel,
Mischte mir dann ein Gemüs, im goldenen Becher zu trinken,
Und vergiftet’ es tückisch mit ihrem bezaubernden Safte.
Und sie reichte mir’s hin; ich trank es, und ohne Verwandlung.
Drauf berührte sie mich mit der Zauberrute und sagte:
Gehe nun in den Kofen und liege bei deinen Gefährten.
Also sprach sie: da riß ich das schneidende Schwert von der Hüfte,
Sprang auf die Zauberin los und drohte sie gleich zu erwürgen.
Aber sie schrie und eilte gebückt, mir die Kniee zu fassen,
Laut wehklagend rief sie die schnellgeflügelten Worte:
Wer, wes Volkes bist du, und wo ist deine Geburtsstadt?
Staunen ergreift mich, da dich der Zaubertrank nicht verwandelt!
Denn kein sterblicher Mensch ist diesem Zauber bestanden,
Welcher trank, sobald ihm der Wein die Zunge hinabglitt.
Aber du trägst ein unbezwingliches Herz in dem Busen!
Bist du jener Odysseus, der, viele Küsten umirrend,
Wann er von Ilion kehrt im schnellen Schiffe, auch hierher
Kommen soll, wie der Gott mit goldenem Stabe mir saget?
Lieber, so stecke dein Schwert in die Scheid und laß uns zusammen
Unser Lager besteigen, damit wir, beide versöhnet
Durch die Freuden der Liebe, hinfort einander vertrauen!
Also sprach sie, und ich antwortete wieder und sagte:
Kirke, wie kannst du begehren, daß ich dir freundlich begegne,
Da du meine Gefährten im Hause zu Schweinen gemacht hast
Und mich selber behältst und mir arglistig befìehlest,
In die Kammer zu gehn und auf dein Lager zu steigen,
Daß du mich Waffenlosen der Tugend und Stärke beraubest?
Nein! Ich werde nimmer dein Lager besteigen, o Göttin,
Du willfahrest mir denn, mit hohem Schwur zu geloben,
Daß du bei dir nichts anders zu meinem Verderben beschließest!
Also sprach ich; und eilend beschwor sie, was ich verlangte.
Als sie es jetzo gelobt und vollendet den heiligen Eidschwur,
Da bestieg ich mit Kirke das köstlichbereitete Lager.
Und in dem hohen Palaste der schönen Zauberin dienten
Vier holdselige Mägde, die alle Geschäfte besorgten.
Diese waren Töchter der Quellen und schattigen Haine
Und der heiligen Ströme, die in das Meer sich ergießen.
Eine von diesen bedeckte die Throne mit zierlichen Polstern:
Oben legte sie Purpur und unten den leinenen Teppich.
Und die andere stellte die schönen Tische von Silber
Vor die Throne und setzte darauf die goldenen Körbe.
Und die dritte mischte in silberner Schale den süßen
Herzerfreuenden Wein und verteilte die goldenen Becher.
Aber die vierte Magd trug Wasser und zündete Feuer
Unter dem großen Dreifuß an, das Wasser zu wärmen.
Und nachdem das Wasser im blinkenden Erze gekochet,
Führte sie mich in das Bad und strömt’ aus dem dampfenden Kessel
Lieblichgemischtes Wasser mir über das Haupt und die Schultern
Und entnahm den Gliedern die geistentkräftende Arbeit.
Als sie mich jetzo gebadet und drauf mit Öle gesalbet,
Da umhüllte sie mir den prächtigen Mantel und Leibrock,
Und dann führte sie mich ins Gemach zum silberbeschlagnen
Schönen künstlichen Thron mit füßestützendem Schemel.
Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne
Über dem silbernen Becken das Wasser, beströmte zum Waschen
Mir die Händ’ und stellte vor mich die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam und tischte das
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