Odyssee: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Drohung.
Aber der übrigen Freund’ in der Wohnung hatte die Göttin
Sorgsam gepflegt, sie gebadet, mit duftendem Öle gesalbet
Und mit schönen Gewanden, mit Rock und Mantel bekleidet.
Und wir fanden sie jetzo im Saal beim fröhlichen Schmause.
Als sie einander gesehn und sich nun alles erzählet,
Weinten und jammerten sie, daß rings die Wohnung ertönte.
Aber sie nahte sich mir, die hehre Göttin, und sagte:
Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus!
Reget jetzo nicht mehr den unendlichen Jammer! Ich weiß ja,
Wieviel Elend ihr littet im fischdurchwimmelten Meere
Und wieviel ihr zu Lande von feindlichen Männern erduldet.
Aber wohlan! Eßt jetzo der Speis und trinket des Weines,
Bis ihr so frischen Mut in eure Herzen gesammelt,
Als womit ihr zuerst der vaterländischen Insel
Rauhe Gefilde verließt. Nun seid ihr entkräftet und mutlos
Und erinnert euch stets der mühsamen Irren, und niemals
Stärkt euch die Freude den Mut: ihr habt sehr vieles erlitten!
Also sprach sie und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen ein ganzes Jahr, von Tage zu Tage
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als nun endlich das Jahr von den kreisenden Horen erfüllt ward
Und mit dem wechselnden Mond viele Tage waren verschwunden,
Da beriefen mich heimlich die lieben Gefährten und sagten:
Unglückseliger, denke nun endlich des Vaterlandes,
Wenn dir das Schicksal bestimmt, lebendig wiederzukehren
In den hohen Palast und deiner Väter Gefilde.
Also bewegten die Freunde mein edles Herz zum Gehorsam.
Und wir saßen dan ganzen Tag, bis die Sonne sich neigte,
An der Fülle des Fleisches und süßen Weines uns labend.
Als die Sonne nun sank und Dunkel die Erde bedeckte,
Legten sich meine Genossen im schattigen Hause zum Schlummer.
Und ich bestieg mit Kirke das köstlichbereitete Lager,
Faßt ihr flehend die Knie; und die Göttin hörte mein Flehen.
Und ich red’te sie an und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, erfülle mir jetzt das Gelübde, so du gelobtest,
Mich nach Hause zu senden! Mein Herz verlanget zur Heimat
Und der übrigen Freunde, die rings mit Weinen und Klagen
Meine Seele bestürmen, sobald du den Rücken nur wendest.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,
Länger zwing ich euch nicht, in meinem Hause zu bleiben.
Aber ihr müßt zuvor noch eine Reise vollenden,
Hin zu Aides’ Reich und der strengen Persephoneia,
Um des thebaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen,
Jenes blinden Propheten mit ungeschwächtem Verstande.
Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis,
Und er allein ist weise; die andern sind flatternde Schatten.
Also sagte die Göttin; mir brach das Herz vor Betrübnis.
Weinend saß ich auf Kirkes Bett und wünschte nicht länger
Unter den Lebenden hier das Licht der Sonne zu schauen.
Als ich endlich mein Herz durch Weinen und Wälzen erleichtert,
Da antwortet ich ihr und sprach die geflügelten Worte:
Kirke, wer soll mich denn auf dieser Reise geleiten?
Noch kein Sterblicher fuhr im schwarzen Schiffe zu Ais.
Also sprach ich; mir gab die hehre Göttin zur Antwort:
Edler Laertiad, erfindungsreicher Odysseus,
Kümmre dich nicht so sehr um einen Führer des Schiffes!
Sondern richte den Mast und spanne die schimmernden Segel;
Dann sitz ruhig, indes der Hauch des Nordes dich hintreibt.
Aber bist du im Schiffe den Ozean jetzo durchsegelt
Und an dem niedern Gestad und den Hainen Persephoneiens
Voll unfruchtbarer Weiden und hoher Erlen und Pappeln:
Lande dort mit dem Schiff an des Ozeans tiefem Gestrudel,
Und dann gehe du selber zu Aides’ dumpfer Behausung.
Wo in den Acheron sich der Pyriphlegethon stürzet
Und der Strom Kokytos, ein Arm der stygischen Wasser,
An dem Fels, wo die zween lautbrausenden Ströme sich mischen;
Nahe bei diesem Orte gebiet ich dir, edler Odysseus,
Eine Grube zu graben von einer Ell ins Gevierte.
Rings um die Grube geuß Sühnopfer für alle Toten,
Erst von Honig und Milch, von süßem Weine das zweite,
Und das dritte von Wasser, mit weißem Mehle bestreuet.
Dann gelobe flehend den Luftgebilden der Toten:
Wenn du gen Ithaka kommst, eine Kuh, unfruchtbar und fehllos,
In dem Palaste zu opfern und köstliches Gut zu verbrennen
Und für Teiresias noch besonders den stattlichsten Widder
Eurer ganzen Herde, von schwarzer Farbe, zu schlachten.
Hast du den herrlichen Scharen der Toten geflehet, dann opfre
Einen Bock und ein Schaf
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