Ödland - Thriller
davon überzeugen, dass die Chinesen in Zukunft ihre ›privilegierten Partner‹ sind und dass sie sie nicht nur freundlich empfangen, sondern im Gegenzug zu ihrer ach so uneigennützigen Hilfe auch ihre Angebote und Bedingungen akzeptieren muss. Habe ich recht?«
»Es wäre zumindest sehr hilfreich«, gibt Markus Schumacher zu.
»Wie viel Prozent eines jeden abgeschlossenen Geschäfts erhält SOS eigentlich?«, mischt Rudy sich ein.
Schumachers Augen schießen Giftpfeile, aber er verzichtet auf eine Antwort.
Sie kehren ins Büro zurück, um die sinnvollste Reiseroute auszuarbeiten. Natürlich werden sie die Transsaharienne nehmen, die in Algier startet und über Ghardaia, Adrar und das »Land des Durstes« - den Tanezrouft, eines der trockensten und unwirtlichsten Gebiete der Welt - nach Gao führt. Die Piste verläuft auch durch das Gebiet der Tuareg. Laut Schumacher sind die »blauen Männer der Wüste« entgegenkommender geworden, seit es in der Sahara keine weißen Touristen und keine afrikanische Verwaltung mehr gibt. Allerdings haben sie die uralte Tradition der rezzou wieder aufgenommen; damit besteht eine gewisse Gefahr, dass sie sich für den Lkw und seinen Inhalt interessieren - entweder, um ihn für eigene Zwecke zu verwenden, oder um ihn zu verkaufen. Auch der Norden Algeriens könnte sich als nicht ganz ungefährlich erweisen; immerhin befehdet sich das Land seit sechs Jahren mit der nach Unabhängigkeit strebenden Kabylei. Eigentlich ist es eher ein Guerillakrieg als ein Krieg, doch man muss Attentate, Entführungen, Plünderungen, brutale Massaker und ebenso brutale Repressalien befürchten, die hier auch eine lange Tradition haben. Im Übrigen riskiert man, am Fuß des Atlasgebirges zwischen El Djelfa und Ghardaia auf sogenannte Piraten zu treffen, eine sehr uneinheitliche Gruppierung, mit allem bewaffnet, was sich zum Töten eignet, die sich aus ehemaligen, haltlos gewordenen Nomaden, fanatischen Islamisten und Rebellen um der Rebellion willen zusammensetzt. Auch Flüchtlinge, vaterlandslose Gesellen und verelendete Zeitgenossen sind dazugestoßen, die alle Kultur, Hoffnung und jedes Gefühl für Menschlichkeit, Familienzugehörigkeit oder ethnische Gemeinschaft verloren haben, sich nur noch an ihre Waffe und ihren blinden Glauben klammern und keinen anderen Horizont als die sandigen Dünen, keine anderen Visionen als ihre eigenen Trugbilder und keine Überlebensmöglichkeit außer Plünderungen kennen.
Ein weiteres Problem bilden die klimatischen Bedingungen. Zwar gehen im November die Temperaturen auf ein erträgliches Maß zurück, dafür ist der Monat die Zeit der Sandstürme, die bisweilen erhebliche Ausmaße annehmen und bis zu zwei Tagen dauern können. In einem Sandsturm ist an Weiterfahrt nicht zu denken; man muss Vorsorge treffen, immer ausreichend Wasser und Lebensmittel an Bord zu haben. Es wäre ohnehin besser, im Konvoi mit anderen Lkws aufzubrechen, zusammen mit erfahrenen Chauffeuren, die die Wüste wie ihre Westentasche kennen. Sich allein auf die gefährliche Strecke zu begeben komme einem Selbstmord gleich, erklärt Markus. SOS habe sich nicht so viel Mühe gegeben - und sich unter anderem auf einen Prozess eingelassen, nicht wahr, Laurie -, um sie im Sand versinken oder von Piraten massakriert zu sehen.
Laurie nickt. Sie hat einen Kloß im Hals, der umso dicker wird, je mehr sie über die wahren - und tödlichen - Risiken ihrer Reise erfährt. Auf Sandstürme, Hitze, glühende Sonne, Durst und Einsamkeit hat sie sich eingestellt, den Faktor Mensch jedoch außer Acht gelassen. Natürlich ist Wüste nicht gleich Wüste. Und ein mit einer vollständigen Bohrausrüstung beladener Lkw stellt selbstverständlich eine willkommene Beute dar.
Ehe sie sich trennen, drückt Schumacher jedem der beiden das Allerwichtigste in die Hand. Rudy bekommt die Schlüssel des Lkws sowie eine vorbezahlte Tankkarte, die angeblich in allen Ländern anerkannt wird. Laurie erhält die Kreditkarte für ein eigens für diesen Auftrag eingerichtetes Konto von SOS. Schumacher verrät ihr den Kontostand nicht - vermutlich ist er geradezu lächerlich. Selbstverständlich wird Laurie bei der ersten Benutzung der Karte erfahren, wie viel Geld ihr zur Verfügung steht, doch dann ist Schumacher zu weit fort, um ihren Wutausbruch ertragen zu müssen, und ihr wird nichts übrig bleiben, als sich damit abzufinden.
Schumacher schützt einen wichtigen Termin vor, um den Abschied abzukürzen, und lässt Laurie
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