Ödland - Thriller
einzudringen. Zwar würde der Hirsespeicher eine gute Deckung abgeben, doch dazu müsste man ihn erst einmal erreichen und zu diesem Zweck einige Meter ohne Deckung hinter sich bringen. Es sei denn ... natürlich, man könnte es über die Nordseite probieren, wo die Hütten unmittelbar an die Umgebungsmauer angebaut sind!
Rudy sieht, dass Abou seinen Blick sucht. Er macht ihm ein Zeichen, dass er weiterschießen soll, um ihm Deckung zu geben, und riskiert es, das Anwesen auf der östlichen Seite zu umrunden. Verzweifelt wirft er sich von Bresche zu Bresche. Kugeln fliegen ihm um die Ohren. Als er schließlich Salah erreicht, gibt er ihm die gleiche Anweisung und robbt sofort weiter. Er erreicht die Rückseite der Gebäude, erklimmt die Mauer, die hier ein Stück höher ist als an den Seiten, und stellt fest, dass das Dach des Hauses, in dem Sonnenbrille sich verschanzt hat, teilweise eingestürzt ist - aber auch, dass es aus Stroh besteht ...
Rudy springt in den Hof, schleicht zwischen den Hütten hindurch und gelangt unter das Fenster, aus dem Sonnenbrille auf Abou und Salah schießt. Und dort, in drei Metern Entfernung, prasselt fröhlich das Feuer. Mit aufgeregt pochendem Herzen geht Rudy in die Knie, springt, greift nach einem brennenden Ast und rollt sich zurück zum Fuß der Mauer. Uff! Der Schütze am Fenster hat ihn nicht gesehen, auf jeden Fall nicht getroffen. Triefend vor Schweiß kriecht Rudy zur Tür und wirft den brennenden Ast ins Innere des Hauses.
Das Feuer greift sofort über. Fauchend verströmt es seinen heißen Atem. Die Schüsse aus dem Fenster hören auf. Rudy vernimmt ein lautes Fluchen, dann stürmt Sonnenbrille wie von allen Teufeln gejagt in einer Rauchwolke aus dem Haus. Er sieht Rudy nicht, der ihm eine Kugel mitten in den Kopf jagt.
Die Schießerei hört auf. Es ist vorbei. Niemand kommt mehr aus der lichterloh brennenden Hütte, und auch die beiden anderen Häuser sind leer. Aber es ist auch kein Auto da ...
Rudy winkt Abou und Salah zu sich. Sie scheuen vor den beiden im Staub liegenden Leichen zurück. Eine blutet aus mehreren Schusswunden, die andere aus einem glatten Nackenschuss.
»Und jetzt zu deinem Bruder«, drängt Rudy.
Aus dem Hirsespeicher dringen schwache Rufe. Salah entdeckt eine Art provisorischer Leiter, die an einer Mauer lehnt. Es ist nichts weiter als ein Stamm mit gekürzten Ästen. Abou lehnt ihn an die Außenwand des Speichers, klettert geschickt hinauf, wirft die Blechtür in den Hof und lehnt sich über die Mauer.
Moussa liegt ganz unten, an Händen und Füßen gefesselt, zwischen Schutt und Trümmern. Erschrocken hebt er den Kopf und starrt seinen Bruder an.
»Abou? Bist du das?«
»Ja, Moussa, ich bin es. Bleib, wo du bist, ich bin gleich bei dir.«
Er springt ins Innere und befreit seinen Bruder mithilfe des zu seiner Ausrüstung gehörenden Messers von seinen Fesseln. Mühsam richtet Moussa sich auf und reibt sich die tauben Gliedmaßen. Sein Bruder muss ihm über das am stärksten beschädigte Stück Mauer hinweghelfen. Auf der anderen Seite wird Moussa von Rudy erwartet. Dann springt auch Abou. Endlich können die beiden Brüder sich umarmen. Moussa hat Tränen in den Augen. Er ist sehr schwach, schmutzig und stinkt wie die Pest, aber er grinst von einem Ohr zum anderen.
»Ich habe Durst«, stößt er mit rauer Stimme hervor. »Sie haben mir nichts gegeben.«
»Wir haben Wasser im Auto«, sagt Rudy. »Lasst uns verschwinden, die anderen können jeden Moment hier sein.«
Als Moussa die beiden Leichen und die brennende, langsam in sich zusammensinkende Hütte sieht, reißt er verblüfft die Augen auf.
»Also ehrlich, Abou, das hätte ich nicht von dir erwartet ...«
»Wir müssen uns beeilen«, drängt Rudy.
Sie verlassen den Hof. Abou muss seinen Bruder stützen, denn das Gehen fällt ihm noch schwer. Genau in diesem Moment biegt ein Wagen um die Ecke, auf dessen Seitentüren das Logo eines Autoverleihs in Abidjan prangt. Ohne sich abgesprochen zu haben, legen Abou und Salah ihre Uzis an und ballern drauflos. Die Windschutzscheibe geht zu Bruch, jaulende Kugeln durchschlagen Kühler und Motorhaube. Das Auto dreht sich einmal um die eigene Achse, gerät außer Kontrolle, wendet knapp auf zwei Rädern und macht sich mit höchster Geschwindigkeit und über Spurrillen und Schlaglöcher holpernd aus dem Staub.
»Hört auf zu schießen, Jungs«, ruft Rudy. »Ihr vergeudet nur Munition. Ich glaube kaum, dass die beiden da noch einmal
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