Ödland - Thriller
deutlich eine Art Lachen, wie Tony Junior es manchmal ausstößt. Er hebt den Kopf und sieht Rudy an, der ihm heiter zulächelt. Dann wendet er sich wieder der Maske zu, deren Scheußlichkeit ihn fasziniert.
»Nehmen Sie sie ruhig in die Hand«, sagt Rudy. »Fühlen Sie die außergewöhnliche Patina des Holzes? Die Maske ist über fünfhundert Jahre alt - ein unschätzbar wertvolles Geschenk.«
Gegen seinen Willen nimmt Anthony die Maske in die Hand. Er kann den Blick nicht von ihr wenden. Wieder hört er das Lachen. Dieses Mal ist es lauter. Nein, es ist kein Lachen - es ist ein Schrei, der Schrei eines Tieres. Der Schrei einer Hyäne! Ein tiefes Entsetzen übermannt ihn. Am liebsten würde er das schreckliche Ding loslassen und aus dem Zimmer fliehen, doch er ist wie gelähmt. Erstarrt. Seine aus den Höhlen tretenden Augen fixieren das schwarz, rot und gelb bemalte Tiergesicht. Die Farben beginnen unter seinem Blick zu tanzen. Die Form der Maske verwischt sich und wird plötzlich zu Wilbur. Es ist der abgehackte Kopf seines verstorbenen Sohnes, den er da in Händen hält, fahl, blutleer und mit verzerrten Zügen, wie am Tag seines Todes. Seine faltigen Lider öffnen sich über gelben, blutunterlaufenen Augen. Blankes Entsetzen breitet sich wie kochende Lava in Anthonys Gemüt aus und vernichtet jeden Gedanken und seine gesamte Willenskraft.
Wieder lacht die Wilbur-Maske. Eine Hyäne? Nein, es ist Tony Junior, der mit tonloser Stimme sagt:
»Vater, du wirst sterben.«
KAPITEL ZEHN
Vaterland oder Tod
Der Zyklon Zoe, der in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember über die Bahamas hinwegraste und zahlreiche Verletzte und Todesopfer forderte, konnte die Verleihung des Preises »Umweltfreundlichstes Unternehmen des Jahres«, die den krönenden Abschluss des 5. Ökonogischen Forums in Nassau bildete, nicht verhindern. Der von der Rothschild-Foundation ausgelobte Preis ging in diesem Jahr an die Hilfsorganisation Deep Forest, die weite Teile Amazoniens aufgeforstet hat. Im Übrigen wurden während des Forums viele Themen angerissen, die sich entweder mit der Umwelt oder dem Klima beschäftigten. Die teilnehmenden Konzerne, die zum größten Teil weltweit agieren und damit sowohl politisch als auch ökonomisch tragende Rollen spielen, werden sich in zunehmendem Maß ihrer Verantwortung für die Welt von morgen bewusst.
So wurde beispielsweise über die Möglichkeit nachgedacht, »Sonne und Wind« mit einer Steuer zu belegen. Zum Eigenbedarf betriebene Windräder und Sonnenkollektoren könnten mit einer Abgabe belegt werden, die zum Ziel hätte, Rentabilitätsstudien zu finanzieren. Produktionseinheiten, deren Ausstoß bei mehr als 20 Megawatt liegen, wären von dieser Steuer ausgenommen, da sie einen Beitrag zur öffentlichen Energieversorgung leisten.
Ein weiteres Projekt, das für große Aufmerksamkeit sorgte, war der Vorschlag, den Nordpol zur »Weltsüßwasserreserve« zu erklären und Quoten für die Ausbeutung festzulegen, die auf dem aktuellen Wasserverbrauch der einzelnen Mitgliedsländer basieren. Mit einer solchen Lösung könnte man Eigentumskonflikte vermeiden, wie sie bei dem kürzlich von einem isländischen Gletscher abgebrochenen Eisberg aufgetreten sind. Die wenigen Inuit, die heute noch am Nordpol leben, könnte man bei Bedarf umsiedeln.
Wie die Tagungsteilnehmer anlässlich der Passage des Zyklons Zoe selbst feststellen konnten, erweist sich die überdachte Enklave Nassau als echter Fortschritt im Hinblick auf Komfort und Sicherheit. Zwar wurde die Insel New Providence zu weiten Teilen verwüstet, die Kuppel jedoch geriet zu keinem Zeitpunkt auch nur in Gefahr. Inzwischen gibt es Pläne, ökonomisch oder kulturhistorisch wichtige Enklaven ebenfalls mit einer Kuppel zu versehen - die Rede ist von Hongkong, Genf, Honolulu und Washington.
Von dem gegen Ende des Forums auf merkwürdige Weise verschwundenen Anthony Fuller, dem Vorstandsvorsitzenden des Großkonzerns Resourcing ww, fehlt weiterhin jede Spur. Die Hypothese einer eventuellen Entführung wird von den verantwortlichen Sicherheitskräften als wenig wahrscheinlich bezeichnet. Da Fuller über ein Privatflugzeug verfügt, kann er sich durchaus an einen unbekannten Ort abgesetzt haben, doch wird auch weiterhin in alle möglichen Richtungen ermittelt. Franklin Rothschild, der Direktor des Forums, sprach mit uns über seine Sorge bezüglich Fullers Gesundheitszustand. »Vielleicht lässt er sich irgendwo behandeln«, sagte er wörtlich, »und
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