Ödland - Thriller
Vergleich zu der kargen Vergütung, die ihm die Arbeit bei der Kooperative einbrachte. Fatimata empfand es als Verrat. Der Bruder von Adama und Schüler des großen Alpha Konaté wollte in das Lager der Kapitalisten überwechseln! Natürlich ebenfalls Afrikaner, aber trotzdem Kapitalisten. Nach jahrelanger Entfremdung ließen sich Amadou und Fatimata endlich ohne Rücksicht auf Tradition und Gerüchteküche scheiden. Amadou übersiedelte nach Mali, wo er sein neues Leben als reicher Mann lebte, Fatimata blieb allein mit ihren Überzeugungen, einem ausgebluteten Land, das sie zu regieren hat, und dem Andenken an eine verlorene Liebe. Eines Abends, als sie sich deprimiert und entmutigt fühlte, vertraute sie Abou ihre Geschichte an. Doch ihr Sohn konnte nichts anderes für sie tun, als sie zu bemitleiden - schließlich war es schlecht möglich, dass er sich in die Wüste aufmachte und nach seinem Onkel suchte, um ihm mitzuteilen: »Komm zurück, meine Mutter liebt dich.«
Jetzt, während Abou auf seiner Matte in der duftenden und - trotz der brütenden Hitze draußen - relativ kühlen Hütte von Hadé liegt, muss er wieder daran denken. Wie würde seine Mutter reagieren, wenn sie von dem Putsch erfuhr? Würde sie kämpfen wie eine Löwin und sich der Situation stellen? Oder doch eher in Mutlosigkeit versinken? Und sein Onkel Adama? Würde er vielleicht reagieren und aus der Wüste zurückkehren? Oder würden dem Land wieder viele Jahre einer ungerechten Diktatur bevorstehen, wie es 2011 schon einmal der Fall gewesen war? Doch all diese Fragen, deren dramatisches Ausmaß er durchaus einschätzen kann, helfen ihm dabei, nicht ununterbrochen sein persönliches Problem wiederzukäuen: eine erwachende Liebe, die von den Militärs mit der Wurzel ausgerottet wurde. Fast könnte man glauben, dass es sich um einen Familienfluch handelt ... Und entgegen all seinen Erwartungen schläft Abou ein.
Er fliegt. Er fliegt unter einem glitzernden Sternenhimmel über düsteres, unruhig bewegtes Wasser. Er kommt schnell voran, sehr schnell sogar. Unter ihm folgt eine Welle der nächsten, bis sie sich am Horizont verlieren. Schließlich erreicht er ein Archipel aus langen, flachen Inseln. Eine von ihnen glänzt wie ein Juwel; sie sieht aus wie eine Perle am Meeresufer. Es ist eine Kuppel. Eine durchsichtige Kuppel, unter der eine ganze Galaxie von Lichtern funkelt. Häuser. Große Gebäude, Villen, Bungalows, erleuchtete Pools, in Neonlicht getauchte Straßen, mit Windlichtern geschmückte Parks. Eine Stadt. Abou durchdringt die Kuppel und kommt zu einem der großen Gebäude - einem Hotel am Meeresstrand. Nun ist er im Innern. Ein Flur, ein Zimmer ... Fuller hält sich in diesem Zimmer auf. Er sitzt in einem Sessel und starrt stumpf auf eine Hyäne, die ihn aus ihren gelben Augen beobachtet. Fuller kann den Blick nicht von ihr wenden. Die Hyäne lächelt, nein, sie lacht: »Hi, hi, hi.« Ihr Gesicht ist nicht das einer Hyäne, sondern eher das eines Zwergs oder eines Kindes - grau, welk, verschrumpelt und von übergroßen, glühenden Augen beherrscht. Das Kind fixiert Fuller und begnügt sich damit, böse zu lachen, hi, hi, hi, als wäre ihm ein schlechter Scherz oder eine gemeine Rache gelungen. Plötzlich hebt die Kind-Hyäne die Augen und entdeckt Abou, der unter der Decke schwebt. Sie lacht nicht mehr. Ihr Blick sprüht nur noch abgrundtiefen Hass.
Abou schreckt schweißgebadet und mit heftig pochendem Herzen aus dem Schlaf. Hadé hat sich über ihn gebeugt und lächelt ihm zu.
»Sehr gut, mein Sohn. Du bist bereit, dich heute Abend der unsichtbaren Welt zu stellen.«
Hass-Hyäne
Eine Maske ist niemals das, wonach sie aussieht. [...] Alle Masken sind die Emanation eines spirituellen Wesens, das per definitionem keine präzise Form besitzt.
G. Le Moal
In der Abenddämmerung verlassen Abou und Hadé den Hof. Sie wandern lange. Zunächst auf einer geteerten Straße; später werden die Wege immer weniger deutlich erkennbar, bis sie irgendwann die todgeweihte, sandige, schon von der vorrückenden Wüste gezeichnete Savanne erreichen, in der es keinen anderen Anhaltspunkt gibt als den Vollmond. Hadé weiß genau, wo sie hinwill, und schreitet mit ruhigen Schritten aus, doch Abou ist noch nie bei Nacht durch den Busch gewandert. Er strauchelt häufig, zumal er einen schweren Sack mit dem zeremoniellen Ornat, einigen Gebrauchsgegenständen und der Maske - einem karinga mit menschenähnlichem Kopf, dessen bemalte und mit esoterischen
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