Ödland - Thriller
In Buchholz sollte es eine gesicherte Internetverbindung geben, wo Sie Ihre Akte vervollständigen können. Die Verantwortlichen werden Ihnen erklären, wie es geht. Viel Glück!«
Der Anflug eines Lächelns erklärt das Gespräch für beendet. Ein Umschlag fliegt in das entsprechende Körbchen, die junge Frau blickt den nächsten Antragsteller an. Rudy wendet sich ab, doch plötzlich wird er noch einmal zurückgerufen.
»Mijnheer Klaas!«
Die ehrenamtliche Helferin hält ihm einen in fettiges Papier gewickelten Butterbrotrest hin. Rudy runzelt die Stirn. Sieht er tatsächlich schon so verhungert aus?
»Für Moses«, lächelt die Deutsche. »Ich hoffe, er mag Salami.«
Dolly-Syndrom
Mein Sohn ist mein Ebenbild.
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»... und sicher war es der innigste Wunsch unseres lieben Wilbur, im Sinne unseres Herrn und Heilands ein Heim und eine Familie zu gründen. Müssen wir nicht genau diese Absicht in seinem leidenschaftlichen Eifer erkennen, im Kontaktnetz eine gleich gesinnte Seele zu finden? Führte nicht die brennende Liebe, die Gott ihm im Übermaß geschenkt hat, dazu, dass er den Sicherheitsalarm überhörte ...?«
So ein Quatsch, denkt Anthony Fuller, der zufällig diesen Satz der Traueransprache des Pfarrers mitbekommen hat. Unser lieber Wilbur ‹ war wieder mal bis zur Halskrause mit Zipzap vollgedröhnt, wie eigentlich immer. Und was den ›leidenschaftlichen Eifer ‹ angeht, so würde ich eher von einem leidenschaftlichen Pimmel reden!
Fuller hält sich die Hand vor den Mund, um das Lächeln über sein zotiges Wortspiel zu verbergen, und tut, als müsse er sich räuspern - nur für den Fall, dass doch jemand hingesehen hat. Lachen ist im Moment wirklich nicht angebracht, denn immerhin ist es sein Sohn, der heute eingeäschert wird. Fuller findet den Pfarrer unsäglich, die ganze Zeremonie einfach lachhaft und das Ambiente des Krematoriums ungefähr so originell wie ein Flughafenhotel. Außerdem hatte er diesen Sohn längst verstoßen, enterbt und vergessen - er hatte ihn aus seinem Leben gestrichen. Wäre es nach ihm gegangen, so wären die Ruinen des Hauses in Garden City Wilburs Grab und die Geier seine Sakramente geworden. Es war Wilburs Mutter, die den ganzen Zirkus arrangierte: Pfarrer, Kerzen, Blumen und der mit dem Familienwappen geschmückte Sarg. Fuller wirft seiner Frau einen verstohlenen Blick zu. Pamela sitzt neben ihm auf einer unbequemen Holzbank - als hätten die Überlebenden kein Recht, sich wohlzufühlen! - und sieht mit ihren runden, rot geweinten Augen, der auf den Wangen verlaufenen Wimperntusche und dem zerknüllten Taschentuch, das sie sich unter ihre Hakennase hält, wie ein Huhn aus, das gerade ein Ei legen will.
Das Bild führt zu einem erneuten Grinsen, das Fuller, so gut es eben geht, hinter einer schmerzverzerrten Grimasse verbirgt. Ungeduldig rutscht er auf der Bank herum. Am liebsten würde er den Pastor samt Sargträgern und dem ganzen Drum und Dran zum Teufel schicken, Wilbur in den Ofen stecken und dann nie wieder darüber reden. Vielleicht habe ich ja doch eine Dexomyl zu viel genommen, überlegt er. Dexomyl ist ein stark stresslösendes Medikament, das bei Vertragsverhandlungen und Aktionärssitzungen unabdingbar ist, allerdings euphorisierende Nebenwirkungen hat. Vor der Zeremonie hat Fuller gleich zwei geschluckt, was möglicherweise ein wenig voreilig war. Eigentlich müsste er eine Calmoxan einnehmen, um seine Lachlust ein wenig zu unterdrücken und die Verkrampfung seines Kiefers zu lindern, doch das geht nicht vor den Augen all dieser Leute.
Dabei sind es nicht einmal viele Leute. Fuller tut, als müsse er seine Sitzposition auf der harten Bank kurz verändern, um einen Blick in die Runde werfen zu können. Außer Pamela und ihm sind noch seine Schwiegereltern John und Jackie Hutchinson da, beide so steif, als hätte man sie in Stärke gesteckt. Sicher träumt John von grandiosen Pogromen gegen Juden, Neger, Kanaken, Kokser und Schwule - alles Leute, die seiner Ansicht nach für Wilburs Tod verantwortlich sind. Auch Anthonys eigener Vater
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