Öffne deine Seele (German Edition)
dabei gewesen war, auch diesen Einsatz begleitet hatte.
«Die Mädchen?», fragte Albrecht.
Kempowski nickte knapp. «Unverletzt. Alle sieben.» Er machte eine winzige Pause, bevor er weitersprach. «Zumindest körperlich.»
Erst in diesem Moment fiel die Last von Albrechts Schultern. Er musste sich an der Wand abstützen.
Kempowski führte ihn zu einer weiteren Tür und ließ ihn einen kurzen Blick in ein kleines Zimmer werfen, das komplett mit Matratzen ausgelegt war.
Die Mädchen. Eine Psychologin war bereits bei ihnen. Blicke, die Albrecht streiften, aber auf eine Weise, die ihn dazu brachte, auf der Stelle die Augen abzuwenden.
Es waren nicht die Blicke von Kindern. Es waren die Blicke von Menschen, die zu viel gesehen hatten.
Sie sind am Leben, dachte Albrecht.
Das war es, was er für diese Kinder hatte tun können. Alles andere, wenn es zu heilen war …
«Chef!»
Das war Lehmann, der aus einer anderen Tür stürzte. Und im Blick des jungen Beamten stand ein Ausdruck, bei dem in Albrechts Kopf die Alarmglocken schrillten.
«Was ist passiert?»
Lehmann schüttelte den Kopf. «Das müssen Sie selbst sehen.»
Er war schon wieder verschwunden. Mit gerunzelter Stirn ging Albrecht ihm nach.
Er kam in eine Wohnküche, auf dem Tisch standen eine Schnapsflasche und eine offene Chipstüte. Hier musste Merfeld gewartet haben, während die Kunden mit den Kindern …
Auf einer Anrichte stand ein Fernsehapparat.
Er war eingeschaltet.
***
«Nein», flüsterte Dennis Friedrichs. «Nein!»
Seine Hand umklammerte die Lehne von Marius’ Stuhl.
Die drei Männer im Studio starrten auf den Kontrollmonitor, einen Bildschirm mit einer Diagonale von weniger als zwanzig Zentimetern. Unterhalb des Richtmikrophons war er in die Wand eingelassen, damit der Moderator die Wirkung seiner Gesten in Echtzeit prüfen konnte.
Doch das Bild zeigte nicht den winzigen abgedunkelten Studioraum mit Marius und seinen Besuchern.
Der Raum auf dem Monitor war ebenfalls dunkel, so dunkel, dass seine Dimensionen nicht abzuschätzen waren, doch ein heller Spot, sehr viel greller als derjenige auf Marius’ Schreibtisch, schnitt ein einzelnes Objekt aus der Finsternis.
Hannah war vollständig bekleidet.
Merz konnte selbst nicht mit Sicherheit sagen, warum ihn diese Feststellung erleichterte.
Vielleicht weil sie das absolut Einzige war, das in diesem Moment Anlass zur Erleichterung gab.
Hannah lag auf einer Apparatur, die an eine Mischung aus Ruheliege und Zahnarztstuhl erinnerte und dann doch wieder ganz anders wirkte: hart, kalt, schmerzhaft, matter Stahl überall. Hannahs Augen wurden von einem breiten Streifen aus dunklem Material verdeckt. Gurte spannten sich über die Brust der jungen Frau, ihre Hüften, ihre Beine. Ihre Hände waren an den Leib gefesselt, auf eine Weise, die ihr nur wenige Zentimeter Bewegungsfreiheit ließ.
Doch sie machte keine Anstalten, diese Freiheit zu nutzen.
«Sie …» Dennis, flüsternd. «Bitte. Bitte! Sie ist doch nicht …»
Merz kniff die Augen zusammen.
Bildete er es sich nur ein, oder konnte er erkennen, wie ihre eingeschnürte Brust sich fast unmerklich hob und senkte?
«Nein.» Marius räusperte sich. «Sie atmet.»
Er ist blind, dachte Merz. Und doch nimmt er Dinge wahr, die für uns nahezu unsichtbar sind.
Die Hände des Moderators lagen flach auf dem Tisch. Anscheinend verschwendete er keinen Gedanken an eine wohl berechnete Geste in diesem Moment.
Er ist nicht weniger überrascht als wir, dachte Merz.
Doch es war mehr als Überraschung in Marius’ Reaktion. Es war das schiere Entsetzen.
Dieses Bild, dieser Vorgang in seiner Sendung.
Auf dem Flur erklang Gepolter. Unvermittelt wurde die Tür aufgerissen.
«Meister!»
Das Licht aus dem Korridor war im ersten Moment so grell und stechend, dass selbst Merz die Augen zusammenkniff.
Marius stieß einen erstickten Schrei aus.
«Meister!»
Merz erkannte die Silhouette sofort. Es war Sören, der Schüler, der sich am Morgen mit dem Harvester abgequält hatte. Erschrocken schlug der junge Mann die Tür hinter sich zu.
«Meister! Verzeih mir, ich …»
Marius presste die Fäuste auf die Augen und gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich.
Sören kam um den Tisch herum und streckte ungeschickt die Hände nach dem Moderator aus.
«Geh … weg!», brachte Marius gepresst hervor.
«Meister, verzeih mir! Dieses Bild … Siehst du … Hast du diese Bilder …»
«Himmel!»
Ein ganz anderer Umriss erschien in der Tür,
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