Öffne deine Seele (German Edition)
Laufschritt der Treppe zum Souterrain.
Ein neuer, dumpfer Knall.
Wo wurde geschossen?
Die Beamten duckten sich, doch unübersehbar stand keiner von ihnen unmittelbar unter Feuer.
Zur Hölle mit der Direktive!
Albrecht stieß die Hecktür auf.
Das Licht der Straßenlaternen. Rufe seiner Beamten.
Kälte biss in seine Lungen nach der verbrauchten, überwärmten Luft im Fond des Fahrzeugs.
Ein neuer Schuss, im selben Moment ein Schrei.
Eine Fensterscheibe zersplitterte in der untersten Etage des Hauses, schräg links über dem Eingang.
Ein Stockwerk über dem Souterrain.
Eine Gestalt wurde sichtbar, eine geduckte Silhouette, die sich auf die Fensterbank schob und – sprang.
Sie landete auf allen vieren auf dem Rasen und hechtete hoch.
«Stehen bleiben!»
Albrecht konnte nicht sagen, wie die Dienstwaffe in seine Hand gekommen war. Wie lange war es her, dass er mit der Pistole geübt hatte? Zu lange.
Im nächsten Moment schien die Zeit stehenzubleiben. Die Ereignisse folgten zu rasch aufeinander, als dass Albrecht in der Lage gewesen wäre, sie in eine logische Reihenfolge zu bringen.
Der Mann war vielleicht sechs Meter entfernt, auf der anderen Straßenseite. Albrecht sah ein mattes Funkeln von Metall. Sein Finger schloss sich um den Abzug.
Der Rückstoß der Waffe trieb ihm Tränen in die Augen. Verschwommen sah er, wie die Silhouette einen ungeschickten Schritt zurückmachte.
Dann hörte er den Schrei.
Zwei Monate später würde der abschließende Untersuchungsbericht zu dem Ergebnis kommen, dass der Kriminalhauptkommissar in einer Notwehrsituation in Ausübung des Dienstes gehandelt hatte. Dass er zudem keine Möglichkeit gehabt hatte, den Schuss exakter zu platzieren, und es demnach ein Unglücksfall gewesen war, dass die Kugel, nachdem sie die Milz perforiert hatte, schließlich in Kevin Merfelds Rückenmark stecken geblieben war.
In diesem Moment wusste Jörg Albrecht nichts von diesen Dingen.
Genauso wenig wie er von dem einundvierzigjährigen Beamten der uniformierten Polizei wusste, der in diesen Sekunden auf der Innentreppe des Hauses an seinem Blut erstickte. Oder von der zweiundsiebzigjährigen Mieterin in der Wohnung oberhalb des Souterrains, die die kommenden sechs Wochen mit einem Schulterdurchschuss im Alsterdorfer Klinikum verbringen würde, um anschließend ein Zimmer in einem Pflegeheim zu beziehen.
Es hätte auch keinen Unterschied gemacht in diesem Augenblick, wie es auch im Nachhinein nur einen Teil der Schuld von seinen Schultern nehmen konnte.
Später, als dieser Moment wieder und wieder zu ihm zurückkam.
Der Moment, in dem er einen Menschen getötet hatte.
Doch, nein, in diesem Augenblick wusste er nichts davon.
«Chef!» Faber stürmte auf ihn zu. «Chef! Sind Sie in Ordnung?»
Albrecht nickte, sonst war er zu keiner Bewegung fähig.
Zwei Beamte, die sich einige Häuser weiter in Reserve gehalten hatten, eilten zu der Gestalt, die sich stöhnend auf dem Rasen wand.
«Chef …» Wieder Faber.
«Sie sollen die Vordertür sichern!», blaffte Albrecht ihn an.
Faber zuckte zurück.
Doch die Anweisung war überflüssig, wie sich zeigte.
Lehmann und den Beamten am Hintereingang war es in diesen Sekunden gelungen, den rückwärtigen Zugang zu öffnen.
Im Souterrain wurde kein Widerstand geleistet. Neben den beiden Kunden, die als Allererstes nach ihrem Anwalt verlangten – Joachim Merz –, war lediglich eine vierundsechzig Jahre alte Dame aus Weißrussland in der Wohnung, die nur gebrochen Deutsch sprach.
Und die Kinder.
Albrecht gab seinen Beamten einige Minuten Zeit, das Souterrain zu sichern, und beobachtete währenddessen die Sanitäter, die sich um Merfeld kümmerten. Er beobachtete sie, doch es gelang ihm, diese Beobachtungen nicht an sich heranzulassen.
Er durfte nicht. Nicht zu diesem Zeitpunkt.
Schließlich tauschte er einen Blick mit Faber, der widerwillig nickte.
Albrecht spürte den Oberkommissar hinter sich wie einen Schatten, als er die Treppe in das halb unter der Erde gelegene Stockwerk hinabstieg.
Ein kleiner Flur, von dem mehrere Türen abzweigten. Eine von ihnen stand offen. Die beiden Kunden wurden erkennungsdienstlich behandelt, ihre Gesichter waren weiß wie die Wand.
«Welch ein Ende», murmelte Albrecht. «Für einen Angelausflug.»
Eine der anderen Türen öffnete sich.
Der Hauptkommissar hob die Augenbrauen. Kempowski. Ihm war nicht klar gewesen, dass der untersetzte Beamte, der bei der Auffindung von Falk Sieverstedts Leichnam
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